500 Jahre: Auch in Frankfurt gibt es noch Täufer
Hören Sie das Gespräch mit Benjamin Isaak-Krauß als Podcast
Herr Isaak-Krauß, was unterscheidet die Täufer vom Mainstream-Protestantismus?
Die Täufer waren von Anfang an vielfältig – der Begriff ist ein Sammelbegriff. Man nennt sie oft den radikalen oder linken Flügel der Reformation. Es waren Menschen, die von der Reformation begeistert waren: Humanisten, Priester, einfache Leute. Sie lasen gemeinsam die Bibel und wollten die reformatorischen Ideen konsequent umsetzen. Dabei gingen sie oft weiter als Luther, Zwingli oder Calvin. Ein zentraler Streitpunkt war die Taufe. Damals wurden fast alle als Kinder getauft, ein Symbol für die christliche Gesellschaft. Doch die Täufer fanden dafür keine biblischen Belege, sondern nur für die Taufe auf das persönliche Glaubensbekenntnis. Für sie war die Taufe eine bewusste Entscheidung, Jesus nachzufolgen. Die Täufer sahen aber auch andere Probleme in der reformatorischen Kirche, die damals schon einige Jahre bestand. Sie sagten: Wir müssen in eine andere Richtung gehen – oder vorangehen. Die Reformation war ja immer auch Provokation, denken wir an Zwinglis demonstratives Wurstessen zu Beginn der Fastenzeit 1522.
Zwingli rief damals als Protest gegen die katholische Fastenpflicht zum öffentlichen Wurstessen auf.
Genau. In dieser Logik gingen die Täufer weiter. Jörg Blaurock ließ sich taufen und taufte dann andere. Die Bewegung verbreitete sich, oft mit unterschiedlichen theologischen Ansätzen. Die Täufer sagten: Wir treiben die Reformation weiter – und zwar von unten. Nicht im Bündnis mit Fürsten, wie Luther, oder mit Städten, wie Zwingli, sondern unabhängig. Es gab auch Verbindungen zu den Bauernaufständen. Im Kern ging es den Täufern um eine Kirche der Gläubigen: Menschen, die bewusst Jesus nachfolgen, kommen zusammen und gründen eine herrschaftsfreie Kirche, eine Gemeinschaft der Geschwister. Das war manchmal auch unbequem, denn konsequente Gewaltfreiheit oder Wahrhaftigkeit kann durchaus auch in eine Konfrontation mit der übrigen Gesellschaft führen.
Das klingt nach einem elitären Christentum, das normale Menschen ausschließt, die nicht standhaft genug sind.
Dieser Vorwurf taucht immer wieder auf. Man kann das so sehen, und manche Irrungen der Geschichte würden das auch bestätigen. Ich habe aber ganz normale Leute in meiner Gemeinde. Es geht eher um die Entschiedenheit, Jesus nachzufolgen.
Wie wird man heute Mennonit? Wird man hineingeboren oder entscheidet man sich?
Beides. Es ist eine Ironie der Geschichte, dass aus einer Bewegung, die den Bruch mit Konventionen betont hat, oft eine Familienkirche geworden ist. Das liegt auch an der Verfolgung der Täufer. Sie zogen sich in geschlossene Gruppen zurück, die irgendwann geduldet wurden – unter der Bedingung, nicht zu missionieren. Trotzdem gibt es in unserer Gemeinde auch Mitglieder ohne mennonitischen Familienhintergrund. Weltweit wachsen täuferische Kirchen durch klassische Mission.
Und auch durch viele Kinder. Die Amischen in den USA, eine Abspaltung der Mennoniten, haben ja eine sehr hohe Geburtenrate.
Ja, die Amischen und Hutterer sind bekannt, weil sie so sichtbar anders leben. Bei ihnen ist die Glaubenstaufe so wichtig, dass sie ihre Kinder vor der Taufe bewusst in die Welt schicken, damit sie sich frei entscheiden können. Das ist oft schwierig, weil die jungen Leute die Welt draußen gar nicht kennen. Aber diese Betonung der Entscheidung sorgt für eine starke Bindung. Und ja, sie haben viele Kinder. Unter den eher liberalen deutschen Mennoniten ist aber, glaube ich, die Geburtenrate so ähnlich wie der deutsche Durchschnitt.
Wie viele Mennoniten gibt es in Deutschland?
Das kommt drauf an, wie man rechnet. Zu unserer „Konferenz der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland“ zählen ungefähr 40 Gemeinden mit 4.000 bis 5.000 getauften Mitgliedern. Zählt man Russlanddeutsche mit mennonitischen Wurzeln hinzu, sind es einige Zehntausend.
Unterscheiden sich Mennoniten heute noch im Lebensstil von anderen Evangelischen?
Äußerlich kaum. Ich trage normale Kleidung, meine Frau ist Pastorin, und unsere Vorgängerin war eine alleinstehende Frau, die 20 Jahre lang die Gemeinde leitete. Sichtbar auf den ersten Blick erkennt man an uns nichts Besonderes. Ich bilde mir aber ein, dass es ein gewisses Ethos von einfachem Leben gibt, das sich durchzieht. Wir vertreten einen klaren Pazifismus, setzen auf gewaltfreie Konfliktlösung und engagieren uns für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung. Diese Grundhaltung ist wahrscheinlich ein bisschen stärker als in der Gesamtgesellschaft.
Gibt es Regeln, die man befolgen muss, um nicht ausgeschlossen zu werden?
Manchmal wünschte ich mir, die Regeln wären expliziter. Wie in jeder Gruppe gibt es bei uns ungeschriebene Gesetze. Aber wir praktizieren keinen Bann. Früher war die Gemeindezucht wichtig, heute nicht mehr. Wir suchen gemeinsam Gottes Willen, orientieren uns an der Bibel und handeln Normen im Gespräch aus. Es gibt keine zentrale Lehrmeinung, deshalb kann das auch von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich aussehen. Unsere Gemeinde zum Beispiel hat beschlossen, ganz explizit zu sagen, dass wir keine Homosexuellen in irgendeiner Form diskriminieren wollen. Wir haben das zwar auch vorher schon nicht gemacht, aber es war uns wichtig, das explizit zu sagen, weil das ja gerade in Freikirchen nicht überall klar ist.
Dürfte man als Mitglied Ihrer Gemeinde Waffenlieferungen in die Ukraine befürworten?
Wir haben Mitglieder, die das tun. Ich frage mich aber, was das eigentlich konkret bedeutet, denn als Einzelne haben wir ja gar keinen Einfluss darauf. Der russische Angriff auf die Ukraine hat viele von uns vor eine große Herausforderung gestellt. Fast alle Männer in unserer Gemeinde haben den Kriegsdienst verweigert. Uns als Pastoren war es wichtig, eine offene Gesprächsatmosphäre zu schaffen, die nicht normativ aufgeladen ist. Gleichzeitig predige ich durchaus über die Bergpredigt und über Jesu Feindesliebe und versuche, ernst zu nehmen und durchzubuchstabieren, was das für uns heute heißen könnte. Und wo da vielleicht auch Perspektiven sind, die im Mainstream nicht so zum Zug kommen, aber es gerade deswegen wert sind, hochgehalten zu werden.
Wie laufen Ihre Gottesdienste ab?
Es würde Sie wahrscheinlich an einen reformierten Gottesdienst erinnern, aber nochmal ein bisschen freier, sehr schlicht in gewisser Weise. Wir haben eine Bibel auf dem Tisch liegen, es gibt keine Kanzel, nichts Erhobenes. Unsere Räume sehen eigentlich wie ein Wohnzimmer aus. Zwischen 10 und 30 Leute kommen, weitere fünf bis zehn nehmen per Zoom teil.
Der Name „Mennoniten“ geht auf den Theologen Menno Simons zurück. Wie wichtig ist diese Tradition heute?
Menno Simons gehörte zur zweiten Generation der Täufer. Die Täuferbewegung war sehr vielfältig, und es hat auch Zerwürfnisse gegeben. Vielleicht ist Ihnen das Täuferreich zu Münster ein Begriff? Dort war die Bewegung sehr milleniaristisch und apokalyptisch gesinnt.
Das heißt, die dortigen Täufer erwarteten, dass das 1000-jährige Reich anbricht.
Ja, und sie hatten irgendwie berechnet, dass das in Münster sein würde, zu einem bestimmten Zeitpunkt. Die Täufer haben sich dann in Münster zur Wahl gestellt und wurden zum Stadtrat gewählt. Es war also kein Coup und auch keine Revolution, sondern eine demokratische Machtübernahme. Sie haben dann aber eine Reform durchgeführt, die bedeutete, dass die Menschen sich entweder taufen lassen konnten oder gehen mussten.
Das klingt nicht so, als wäre die persönliche Entscheidung dabei besonders wichtig gewesen.
Ja, das stimmt. Aber damals wurden in vielen Städten und Regionen Andersgläubige ausgewiesen. Jedenfalls haben sich dann die katholischen und protestantischen Kräfte gegen das Münsterer Täuferreich militärisch verbündet. Es gab eine Belagerung und verschiedene Exzesse. Und das war eine Wende. Schon vorher stand auf die Wiedertaufe die Todesstrafe, aber nun war der Begriff Täufer gleichbedeutend mit Terrorist. Tatsächlich gab es auch terroristische Täufer-Gruppen, die zum Beispiel Klöster geplündert haben. Im Zuge dieser Wirren hat Menno Simons, ursprünglich ein katholischer Priester, Leute um sich gesammelt, für die diese Gewalt ein Irrweg war. Der Begriff „Mennoniten“ ist im Lauf der Zeit zu einem Schutzbegriff geworden, weil „Täufer“ so stark mit „Terrorist“ verbunden war. Damit hat einerseits unsere Tradition der Gewaltfreiheit eingesetzt, andererseits war es aber auch ein Rückzug in die Harmlosigkeit, wie ich sagen würde. Seit den Studentenbewegungen gibt es aber wieder einige, die das konfrontative Erbe neu entdecken und sich bewusst wieder „Täufer“ nennen.
Auch im Nationalsozialisten waren die Mennoniten ziemlich angepasst. Wie kam es dazu?
Das war Teil einer längeren Assimilation. Zur Zeit des Frankfurter Paulskirchen-Parlaments 1848 hatte es eine Konfrontation zwischen zwei Mennoniten gegeben, einem liberalen, der dafür war, Teil dieses neuen demokratischen Staates zu werden mit allen Pflichten, und einem anderen, der wollte, dass die Mennoniten weiter nichts mit dem Militär zu tun haben sollten und lieber eine Sonderstellung in Kauf nahmen. Die erste Linie hat sich im Lauf der Zeit durchgesetzt. Mennoniten haben immer stärker gesagt: Wir gehören zu diesem Land, diesem Volk, diesem Staat.
Und wenn der Führer Adolf Hitler heißt, dann ist das eben so.
Ja, das war aber im Ersten Weltkrieg auch schon genauso gewesen. Ich will das nicht kleinreden, wir waren Mitläufer, und teilweise gab es auch begeisterte Nazis unter den Mennoniten. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte durch nordamerikanische Kontakte ein Umdenken ein. Dort waren die Mennoniten größtenteils pazifistisch geblieben und hatten alternative Dienste entwickelt. Sie wollten zwar nicht zum Militär, waren aber durchaus bereit, der Gesellschaft zu dienen. Sie sind dann zum Beispiel in Psychiatrien gegangen und haben dort geholfen, unter anderem haben sie viele psychiatrische Reformen angestoßen. Auch Entwicklungshilfe hat sich daraus entwickelt und ganz viel Friedensarbeit. Diese Mennoniten aus Nordamerika haben nach dem Krieg die aus Deutschland konfrontiert: Wie seid ihr denn auf diesen Unsinn gekommen? Eine Weile hat man versucht, das Thema totzuschweigen, aber inzwischen ist eine richtige Aufarbeitung in Gange.
Sind die Mennoniten in den USA nicht heute auch pro Trump?
Große Teile der Mennoniten in den USA sind Teil der Evangelikalen und über diesen Weg dann auch irgendwie „trumpistisch“. Ich kenne dazu keine Zahlen, aber es haben wohl tatsächlich sehr viele Trump gewählt. Es gibt aber auch viele, die sich bewusst nicht an Wahlen beteiligen, aus historischen Gründen. Mennoniten in den USA haben auch die größte, christlich getragene, gewaltfreie Bewegung angestoßen, die die bedingungslose militärische Unterstützung der USA für Israel in Frage stellt, weil sie finden, dass man dort friedensstiftend eingreifen müsse. Es gibt also auch unter den Mennoniten in den USA eine Polarisierung.
Wie ist es denn hier in Deutschland? Haben Sie ökumenische Kontakte zu anderen Konfessionen?
Also wir als Gemeinde sind Gründungsmitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Frankfurt und Teile von uns waren auch Gründungsmitglieder des Ökumenischen Rats der Kirchen, des Weltkirchenrats. Gerade in Europa ist man sehr ökumenisch engagiert.
Vielen Dank für das Gespräch!
Zum 500. Jubiläum organisiert die Frankfurter Mennonitengemeinde gemeinsam mit der Baptistengemeinde am Tiergarten einige Veranstaltungen. Mit Geschichte und Relevanz der Täufer beschäftigt sich ein Vortrag am Freitag, 27. März, um 19 Uhr in der Baptistengemeinde, Am Tiergarten 50. Dort findet am Sonntag, 30. März, um 14 Uhr auch der Festgottesdienst zum 500. Jubiläum statt. Die Mennonitengemeinde, Eysseneckstraße 54, zeigt am Samstag, 29. März, von 10 bis 18 Uhr eine Ausstellung zur Täuferbewegung.
Infos unter >> www.mennoniten-frankfurt.de.
1 Kommentar
Hast Du sehr gut gemacht, Benni! Das Problem ist ja immer die in solchen Situationen gebotene und erwartete Kürze und Prägnanz. Rainer