Gott & Glauben

Getanzter Gottesdienst

Auf der Einladung zum „Tanzgottesdienst“ in der Andreasgemeinde in Frankfurt-Eschersheim stand, es würde keine peinlichen Momente geben. Unsere Autorin hat es ausprobiert: Lassen sich Liturgie, Bibellesung, Predigt und Co. wirklich als Tanz gestalten?

Anfangs tanzten nur die weiß gekleideten Veranstalter:innen, zum Schluss war fast die ganze Gemeinde in Bewegung: Tanzgottesdienst in der Andreasgemeinde. | Foto: Rolf Oeser
Anfangs tanzten nur die weiß gekleideten Veranstalter:innen, zum Schluss war fast die ganze Gemeinde in Bewegung: Tanzgottesdienst in der Andreasgemeinde. | Foto: Rolf Oeser

„Du hast mein Klagen in Tanzen verwandelt“, heißt es in Psalm 30. Genau das geschieht laut Pfarrerin Sabine Fröhlich beim Bibliotanz: Das Wort bewegt und die innere Bewegung fließt in den körperlichen Ausdruck. Es sei eine Verbindung von Bibliodrama und Tanz, erklärt Fröhlich: Wie beim Bibliodrama gehe es darum, dass die Menschen in Resonanz und Interaktion mit einem Bibeltext und miteinander kommen. Die Befruchtung sei wechselseitig, denn umgekehrt inspiriere auch die Bewegung zu neuen gedanklichen Assoziationen.

Astrid Thiele Petersen hat den Bibliotanz erfunden und als zertifizierte Fortbildung entwickelt. Sie nennt das „bewegte Bibelauslegung“. Zusammen mit der ersten Ausbildungsgruppe für Bibliotanz am „Zentrum“ der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau haben Fröhlich und Petersen den Tanzgottesdienst in der Andreasgemeinde gestaltet.

„Es soll keine peinlichen Momente geben“, wird in der Einladung betont. Ich selbst bin zugegebenermaßen etwas skeptisch, als ich den Saal betrete: Ein großer Stuhlkreis lässt viel Raum für die tänzerische Gestaltung der protestantischen Mitte, und die ganz weiß gekleideten Tänzerinnen – passend zur Liturgiefarbe von Epiphanias, dem Fest der Erscheinung Anfang Januar – lassen mich an etwas denken, das ich mit latent unguten Gefühlen irgendwo zwischen Gymnastik und Achtsamkeitstraining vermute.

Schrittweise sensibilisiert das Team im Zuge der Liturgie die Anwesenden zunächst für den eigenen Körper, dann für die Bewegung im Raum: Am Anfang begleiten einfache Gesten und Gebärden Lesung und Gebete, nach und nach werden die Bewegungen umfassender und raumgreifender. Wie weit die einzelnen dabei gehen, bleibt ihnen selbst überlassen.

Mehr und mehr belebt sich der Raum zwischen den Stühlen, der Stuhlkreis macht alle füreinander sichtbar und schafft – verglichen mit einem frontalen Gottesdienst – vielfältige Kontaktmöglichkeiten. Das Team integriert, ohne zu überfordern, und es wird tatsächlich nicht peinlich, denn der Tanz wirkt nirgends aufgesetzt. Alle Tänzerinnen haben sichtbar ein eigenes, individuelles Ausdrucksvermögen entwickelt. Genau das – sich ein tänzerisches Niveau zu erarbeiten – gehört zum Programm der Bibliotanz-Ausbildung mit dazu. Die Performance zur Predigt sowie die anschließende offene Improvisation zeugen von Selbstbewusstsein und Nähe; das spricht unmittelbar an, ja, wirkt ansteckend. Ich bleibe zwar noch auf meinem Stuhl sitzen, aber nicht mehr lange.

Was mich vom Stuhl reißt, ist der Segen am Ende des Gottesdienstes. Er wird gesungen, eine einfache, eingängige Melodie – wo zwei sich begegnen, singen, sprechen sie ihn sich zu, begleitet von spontanen Gesten zwischen einander. Da äußert sich ein vielschichtiges Geben und Empfangen, immer wieder findet sich ein neues Gegenüber und überraschend schnell entsteht ein Gespür dafür, wie unterschiedlich Kontakt sich gestalten kann, was Berührung ist: seelisch, körperlich, geistig. Denn was da entsteht ist viel mehr als ein Tanz der Begegnung von Ich und Du, es ist ein Raum dichter Anwesenheit, der mich fast euphorisch stimmt. Was für ein Reichtum in dieser umfassenden Bewegtheit steckt, was für ein unentdeckter Schatz in den Kirchenbänken schlummert.

Ein protestantischer Gottesdienst, bei dem nicht das Wort im Mittelpunkt steht – geht das Konzept auf? Anders als beim Bibliolog oder Bibliodrama sind die Teilnehmer:innen hier nicht gefordert, Erfahrungen zu versprachlichen, Bewegung ist das einzige Ausdrucksmittel, mit dem sie antworten. Ob die Bewegung auf das Bibelwort folgt oder auf die Musik, mit der Wolfgang Tews den Gottesdienst am Klavier begleitet, ist zuweilen nicht unterscheidbar. Muss es aber vielleicht auch nicht sein. „Durch Tanz“, so formuliert es ein Besucher im Anschluss an den Gottesdienst, „können auch die angesprochen und eingebunden werden, die allein von Worten nicht berührt werden.“ Vielleicht braucht, was sich in Tanz verwandeln lässt, keine weiteren Worte.


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Silke Kirch 55 Artikel

Dr. Silke Kirch studierte Germanistik, Kunstpädagogik und Psychologie in Frankfurt am Main und ist freie Autorin und Redakteurin.

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