Tolerant zu Fremden, aber gegen sexuelle Vielfalt
Wie verbreitet ist rechtspopulistisches Gedankengut in der evangelischen Kirche? Das war die Fragestellung, unter der die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) vor drei Jahren eine interdisziplinäre Studie in Auftrag gegeben hat. Unter dem Titel „Zwischen Nächstenliebe und Abgrenzung“ liegen jetzt die Ergebnisse vor.
Sie zeigen: Im Großen und Ganzen gibt es unter evangelischen Kirchenmitgliedern genauso viele Vorurteile und rechtspopulistische Ansichten wie im Rest der Bevölkerung. Das ist wenig überraschend, allerdings durchaus enttäuschend, wenn man doch eigentlich den Anspruch hat, offener und toleranter zu sein als andere.
Interessant sind die Studienergebnisse vor allem dort, wo es signifikante Abweichungen gibt, was insbesondere bei zwei Themen der Fall ist: bei der Haltung gegenüber Geflüchteten, Migrantinnen oder Muslimen und beim Thema Frauenemanzipation und geschlechtliche Vielfalt. Was ersteres betrifft, so haben vor allem engagierte evangelische Christ:innen tatsächlich weniger fremdenfeindliche und antimuslimische Vorurteile als der Rest der Bevölkerung. Hier zeigen die vielen Initiativen für Toleranz und Begegnung und eine theologisch konsequente Haltung der Offenheit für Fremde offenbar Folgen.
Beim Thema sexuelle Vielfalt und Frauenemanzipation hingegen tendieren kirchengebundene Menschen stark zu traditionellen Geschlechtermodellen und rechtspopulistischen Argumentationsmustern. Je größer die religiöse Bindung, desto ausgeprägter sind homo- und transphobe Ansichten im Vergleich zur übrigen Bevölkerung. Ein Viertel der Kirchenmitglieder äußerte sexistische Einstellungen, jedes fünfte Skepsis gegenüber feministischen Forderungen und Gleichstellung.
Die Geschäftsführerin des EKD-Zentrums „Frauen und Männer“, Eske Wollrad, sieht hier ein prinzipielles Problem. In einem Beitrag für das Magazin Zeitzeichen schreibt sie: „Entgegen dem Image der Evangelischen Kirche als einer Organisation, die Geschlechtergerechtigkeit auf allen Ebenen umgesetzt hat, zeigt eine Untersuchung zu Denkschriften der EKD, dass sich die EKD zwar meist progressiv positioniert (zum Beispiel auf den Feldern Umwelt und Frieden), aber immer konservativ war, wenn es um Geschlecht und sexuelle Vielfalt ging.“
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