Gott & Glauben

Wie Josef zum Kinde

Josef ist wohl der berühmteste nicht-leibliche Vater der Geschichte. Bis heute könnte er ein Vorbild für moderne Familien sein. - von Uwe Birnstein

Josef und das Jesuskind. Adaption eines Gemäldes von Guido Reni aus dem Jahr 1640. | Bearbeitung: Antje Schrupp
Josef und das Jesuskind. Adaption eines Gemäldes von Guido Reni aus dem Jahr 1640. | Bearbeitung: Antje Schrupp

Worst Case für einen Mann: Er erfährt, dass das vermeintlich eigene Kind von einem anderen gezeugt wurde. „Vaterschaftsdiskrepanz“ nennen Soziologen diesen Vorgang nüchtern, was der Dramatik der Sache nicht ganz gerecht wird. Für viele Betroffene ist das ein Schockerlebnis.

In der Bibel gibt es ein Vorbild für diese Situation: Josef aus Nazareth. Dessen Verlobte Maria ist schwanger, aber das Kind kann nicht von ihm sein – die beiden haben noch nie miteinander geschlafen. Der gesunde Menschenverstand sagt: Das Kind muss von einem anderen Mann gezeugt worden sein. Die christliche Tradition sagt: Das Kind ist Ergebnis einer wundersamen göttlichen Zeugung.

Laut Bibel hätte sich Josef damals am liebsten heimlich aus dem Staub gemacht (Matthäusevangelium Kapitel 1, Verse 18f). Schließlich war er noch nicht mit Maria verheiratet. Aber er scheint sie geliebt zu haben, und dann erscheint ihm im Traum ein Engel, der erklärt, Maria habe das Kind vom Heiligen Geist empfangen. Der Engel riet Josef, seine Verlobte nicht zu verlassen. Und nachdem dieser erwachte, „tat er, wie ihm der Engel befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich.“

Wie entwickeln Männer, die von Anfang an wissen, dass das Kind nicht ihr eigenes ist, Vatergefühle? Welche Rolle spielt die Kränkung, die ein vermutetes Fremdgehen auslöst? Josef jedenfalls übernahm väterliche Verantwortung. Als das Leben des Neugeborenen bedroht ist, weil König Herodes alle männlichen Neugeborenen töten lässt, flieht er mit Maria und Jesus nach Ägypten.

Auch wenn das Verhältnis zwischen Vater und Kind sich gut entwickelt und der Vater das Kind liebt wie sein eigenes, gibt es in dieser Konstellation oft Fallstricke. Vielen Vätern fällt es zum Beispiel schwer, eigensinnige Verhaltensweisen des Kindes zu akzeptieren, die auf den anderen hinzuweisen scheinen. Hinzu kommt die Angst vor der Frage nach dem leiblichen Vater. Werden die Kinder älter, entwickeln sie oft Neugier nach ihrer Herkunft. Mit der Frage nach dem leiblichen Vater wächst die Angst davor, das liebgewonnene Kind an ihn zu verlieren. Für heutige Väter ist es tröstlich, zu wissen, dass die rechtliche Vaterschaft in Deutschland mehr zählt als die leibliche. Niemand kann einem das Kind also plötzlich wegnehmen.

Doch wie geht man damit um, wenn es sich für den leiblichen Vater zu interessieren beginnt? Vor diese Frage sah sich auch Josef eines Tages gestellt. Als Jesus zwölf Jahre alt ist, gehen seine Eltern mit ihm zum Passafest nach Jerusalem. Auf dem Rückweg ist Jesus plötzlich verschwunden, erst nach drei Tagen finden sie ihn im Tempel, vertieft in Diskussionen. Die Eltern sind entrüstet, aber Jesus fragt: „Warum habt ihr mich gesucht? Wisst ihr nicht, dass ich unter denen sein muss, die zu meinem Vater gehören?“ (Lukasevangelium, Kapitel 2, Verse 46ff). Ob es Josef wohl verletzt hat, dass Jesus nicht ihn als Vater ansieht, sondern letztlich sagt, dass sein „wirklicher“ Vater viel größer und mächtiger ist?

Die tiefenpsychologische Bibelauslegung interpretiert das als symbolische Darstellung der Ablösung vom Vater – ein normaler Entwicklungsschritt beim Erwachsenwerden. Seltsam ist aber, dass man von nun an nichts mehr über Josef erfährt. Ist er schon tot, als Jesus später in die Öffentlichkeit tritt? Oder ist Josef der Verlierer dieser Geschichte?

Als Vater gerät er in Vergessenheit, und auch für Jesus, der sich ganz auf seinen himmlischen Vater konzentriert, scheint er keine große Rolle mehr gespielt zu haben. Andererseits: Josef hat Jesus ein Zuhause gegeben, ihn großgezogen und sich um ihn gesorgt. All das klingt an, wenn Jesus von Gott als liebevollem Vater spricht. Hätte er das tun können, wenn er nicht bei Josef gelernt hätte, was Vaterliebe bedeutet?

Die Beziehung zu einem Kind, das nicht das eigene ist, ist oft fragiler als die zu eigenen Kindern. Verletzungen, Konkurrenzdenken und Verlustängste müssen überwunden werden. Josefs Geschichte zeigt, dass ein liebevoller Umgang miteinander hilft, das Beste daraus zu machen.


Autorin

Gastautor:in 37 Artikel

Regelmäßig veröffentlichen wir im EFO-Magazin Gastbeiträge von Frankfurter und Offenbacher Pfarrerinnen und Pfarrern oder anderen interessanten Persönlichkeiten.

0 Kommentare

Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.

Artikel kommentieren

Wir freuen uns, wenn unsere Beiträge zu Diskussion und Austausch beitragen. Dabei bitten wir, auf angemessene Umgangsformen zu achten und die Meinung anderer zu respektieren. Bei Verstößen gegen unsere Netiquette-Regeln behalten wir uns vor, Kommentare nicht zu veröffentlichen.

Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder.

Errechnen Sie die Summe der dargestellten Zahlen
Captcha =