Kunst & Kultur

Der Klang der Mission

Rund 7000 evangelische Posaunenchöre gibt es in Deutschland, mit 120.000 Bläserinnen und Bläsern. Anspruchsvolle Konzerte sind ebenso Teil ihres Repertoires wie die Begleitung von Gottesdiensten oder Ständchen in Altenheimen. Seit 2016 gehören die Posaunenchöre sogar zum Unesco-Kulturerbe.

Posaunenchöre wurden im 19. Jahrhundert zur größten evangelischen Laienbewegung in Deutschland. | Foto: Rui Camilo
Posaunenchöre wurden im 19. Jahrhundert zur größten evangelischen Laienbewegung in Deutschland. | Foto: Rui Camilo

Kerzenschimmer vom Altar spiegelt sich auf den Instrumenten: Da ist die gewaltige Tuba mit dem nach oben gerichteten Trichter. Da sind die kleinen Trompeten, aus denen helle, hohe Klänge hinausgeblasen werden. Die beiden Waldhörner, gut zu unterscheiden durch ihre kreisrund gewickelte Form. Das Euphonium, auch als „kleine Tuba“ bekannt, das für die weichen, tieferen Töne zuständig ist. Schließlich die schmalen Posaunen mit dem zylindrischen Schalltrichter und dem langen Zug: In voller Besetzung gibt der Bockenheimer Posaunenchor „Blech in Takt“ in der Dreifaltigkeitskirche ein Gastspiel. Es ist Anfang März, noch ahnt niemand, dass es für lange Zeit das letzte Konzert mit Publikum sein wird.

Statt mit Chorälen und geistlicher Musik wartet das Programm mit viel Romantik auf, mit Komponisten wie Dvořák, Grieg, Mendelssohn-Bartholdy, Wagner und Webber. Schon vor einiger Zeit hat der Bockenheimer Posaunenchor die traditionellen musikalischen Bahnen verlassen und sich in mehr Leichtigkeit geübt. Wer Viervierteltakt und gradliniges Spiel gewöhnt war, habe sich erst herantasten müssen an Gospel, Swing, jazzige Klänge und moderne Popsongs, sagt Kantor Notker Bohner, der den Chor seit 1993 leitet. Aber viele seien begeistert von der modernen Literatur: „Das hat unser Spiel befruchtet.“

Posaunenchöre sind eine zentrale Säule des protestantischen Gemeindelebens. Mehr als 7.000 gibt es in Deutschland, mit über 120.000 Bläserinnen und Bläsern, wie der 1994 gegründete Dachverband „Evangelischer Posaunendienst in Deutschland“ (EPiD) mitteilt. Allein in Frankfurt und Offenbach gibt es zurzeit 16 aktive evangelische Posaunenchöre. Der älteste ist in Oberrad beheimatet und wurde 1901 gegründet. In Offenbach gibt es einen Posaunenchor, der 1905 von dem musikbegeisterten Handwerksmeister Otto Wagner und fünf jungen Männern aus dem CVJM ins Leben gerufen wurde. Der jüngste Posaunenchor entstand 2019 im Gallus.

Foto: Rui Camilo
Foto: Rui Camilo

Ihre Geschichte reicht in die Mitte des 19. Jahrhunderts zurück. Zur Zeit der fortschreitenden Industrialisierung entwickelte sich auch eine neue Art der Volksfrömmigkeit. Erweckungsgottesdienste fanden in großen Sälen oder in der freien Natur statt, dabei wurde viel gesungen, geistliche Choräle ebenso wie Volkslieder. Zur Begleitung und Unterstützung wurden die einfach handhabbaren Blechblasinstrumente immer beliebter. Unzählige Gemeindemitglieder bildeten sich an Trompete, Posaune oder Horn aus.

Prägend war dabei der westfälische Pfarrer Johannes Kuhlo (1856–1941), der viele Chöre gründete, Lieder und Melodien sammelte, Tonsätze schuf und publizierte. Er führte auch eine neue Schreibweise für Blechblasmusik ein, indem er die Stimmen klingend notierte, wie man sie beim Spielen auf den Instrumenten greift. Das ermöglichte es auch Ungeübten, die Noten zu lesen.

Mit seiner fast schon missionarischen Posaunenchorarbeit wollte Kuhlo vor allem junge Männer aus der Arbeiterschaft erreichen. Bis 1934 gehörten die Chöre organisatorisch zum „Christlichen Verein Junger Männer“ (CVJM), unter Hitler wurden sie jedoch der Reichskulturkammer der Nazis unterstellt, und Kuhlo avancierte zum „Reichsposaunenwart“.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges entstanden auf Landesebene neue Verbände, und in den Gemeinden wurden zahlreiche neue Chöre gegründet. Einer davon war in den 1950ern der Posaunenchor der damaligen Markusgemeinde in Bockenheim, aus dem später „Blech in Takt“ wurde. Der Chor bestand anfangs nur aus fünf Bläsern, ihren ersten Auftritt hatten sie am 1. Januar 1955 mit einem Neujahrsblasen vom Kirchturm.

Der Posaunenchor "Blech in Takt" aus Bockenheim besteht seit den 1950ern. | Foto: Rui Camilo
Der Posaunenchor "Blech in Takt" aus Bockenheim besteht seit den 1950ern. | Foto: Rui Camilo

Reinhold Klumpp erinnert sich noch an Diakon Erich Schubert, der ihm als kleinem Bockenheimer Bub das Trompetenspielen beibrachte. Heute ist Klumpp eine feste musikalische Stütze im Chor, auch wenn er nicht mehr Trompete spielt, sondern Euphonium. Schon „eine gefühlte Ewigkeit“ ist auch Ilona Blöcker dabei. Es sei einfach schön, in der Gemeinschaft zu spielen, sagt die 62-Jährige, die auch ihren Mann Joachim hier kennengelernt hat. „Wir sind eine schöne Gemeinschaft“, bestätigt der Tuba-Spieler Martin Grunenberg (55). „Ich stehe nicht im Vordergrund, sondern habe meinen Platz hinten.“

Genügend Luft braucht er, um sein Instrument zum Klingen zu bringen. Aber nicht so viel Luft, wie viele meinen. Denn es sind die vibrierenden Lippen, die die Luftsäule im Inneren eines Blechblasinstruments ins Schwingen bringen.

Die zwanzig Aktiven, die heute „Blech in Takt“ bilden, spielen zwei anspruchsvolle Konzerte im Jahr, sind aber auch sonst aus dem Alltagsleben der Gemeinde nicht wegzudenken. Sie liefern musikalische Begleitung bei Gottesdiensten, Taufen, Hochzeiten, Konfirmationen oder Gemeindefesten. Sie spielen in Altersheimen, im Krankenhaus oder im Kindergarten. Werden sie in kleiner Besetzung für eine goldene Hochzeit bestellt, spielen sie „Nun danket alle Gott“. Den Gospel „Siyahamba“ wünschen sich häufig die Jugendlichen für ihre Konfirmation. Und im Dezember spielt der Chor regelmäßig mit klammen Händen Weihnachtslieder auf der Leipziger Straße, begleitet das Krippenspiel auf dem Kirchplatz und freut sich über alle, die dann kommen, stehen bleiben, lauschen.

Weiterlesen: Musik verbunden mit Glauben ist ein Seelentröster. Interview mit Nicole Lauterwald vom Evangelischen Posaunendienst in Deutschland


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Autorin

Anne Rose Dostalek ist freie Journalistin und lebt in Frankfurt am Main.

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