Kunst & Kultur

Die Orgel des Monats Oktober: Die Steinmeyer-Orgel der Lutherkirche der Mirjamgemeinde

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Eine nuancenreiche Disposition kennzeichnet das 1914 in den Dienst genommene Instrument. Der Klang der Orgel lässt an ein romantisches Kammerorchester denken.

Die Orgel des Monats Oktober I Foto: Stefan Buch
Die Orgel des Monats Oktober I Foto: Stefan Buch

Die Lutherkirche an der Offenbacher Waldstraße wurde von Friedrich Pützer nach dem sogenannten „Wiesbadener Programm“ geplant und 1914 fertiggestellt. Wie auch in anderen Pützer-Bauten bilden dabei Altar, Kanzel und Orgel eine Einheit in dem mit warmen Farben jugendstilartig ausgemalten Kirchenraum.

Der Auftrag zum Bau der Orgel erging an die Orgelbaufirma Steinmeyer. Deren Gründer, Georg Friedrich Steinmeyer, war Schüler des berühmten Ludwigsburger Orgelbauer Walcker. Sein Sohn Johannes Steinmeyer übernahm 1901 den Betrieb, er konzipierte und baute mehr als 750 Orgeln, darunter auch das Opus 1195, die Orgel der Offenbacher Lutherkirche. „Für die hohe handwerkliche Qualität Steinmeyers spricht unter anderem, dass wesentliche technische Bestandteile, wie das Gebläse und auch die Steuerungsmagnete der elektropneumatischen Spielanlage seit 1914 unerschöpflich ihren Dienst tun“, äußert Organistin Bettina Strübel, die regelmäßig das Instrument spielt.

Ganz dem romantischen, orchestralen Stil verpflichtet, zeichnet sich die Steinmeyer-Orgel durch eine große Farbpalette grundtöniger Register aus. Dreizehn der insgesamt 32 Register sind 8-füßig, darunter zahlreiche Streicherklänge wie „Viola di Gamba“, „Viola“ und „Violoncello“. Entsprechend der Größe des Kirchenraums kommt die nuancenreiche Disposition der 3-manualigen Orgel mit zwei Schwellwerken und einer Walze den Klängen und dem Ideal eines romantischen Kammerorchesters sehr nahe.

Ursprünglich stand der Spieltisch auf der linken Seitenempore. 1959 wurde er auf die hintere Empore versetzt, dabei wurde das Klangbild dem Zeitgeist angepasst, sprich barockisiert. 2014 wurde die Orgel im Rahmen einer umfassenden Sanierung in den ursprünglichen Zustand rückversetzt. Da noch außergewöhnlich viel Originalsubstanz an Pfeifen- und sonstigem Material vorhanden war, konnte die originäre romantische Orgel mit ihren zahlreichen feinen und zarten Farben glücklicherweise „wiederauferstehen“. Die mit der Restauration beauftragte Orgelbaufirma Förster & Nikolaus aus Lich entschied sich für einen fahrbaren Spieltisch unterhalb der verkleinerten linken Seitenempore. Eine moderne Setzeranlage mit zahlreichen weiteren Funktionen neben der Registervoreinstellung wurde dezent ergänzt.

Seinerzeit hatte die Steinmeyer-Orgel der Lutherkirche eine um ein Jahr ältere „Schwester“ in der Synagoge in Offenbach, eine Walcker-Orgel, die auch zeitgleich mit dem Bau der Synagoge geplant und erstellt wurde. Diese Orgel war bis 1938 die größte Orgel in Offenbach. Nach der Reichspogromnacht wurde sie zur Kinoorgel umfunktioniert und schließlich außer Dienst gestellt. Einzelne Register erklingen heute noch in der Offenbacher Stadtkirche. Auch in der Lutherkirche erinnert Kantorin Bettina Strübel immer wieder in Konzerten an die einst reiche synagogale Orgeltradition.


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