Kunst & Kultur

"Erschreckender Antisemitismus im Gangster-Rap"

In der deutschen Rap-Szene verbreiten sich seit zwanzig Jahren zunehmend antisemitische Verschwörungsideen. Sie wurden zu lange toleriert, findet der jüdische Musiker Jonathan Kalmanovic aka Ben Salomo. Bei einer Veranstaltung in der Evangelischen Akademie Frankfurt forderte er mehr Aufklärung insbesondere an Schulen.

Sie haben sich prima verstanden und viel gemeinsam unternommen. Dann wurde Jonathan Kalmanovich plötzlich von seinem besten Freund antisemitisch attackiert. Der hatte erfahren, dass er Jude ist, ihn deswegen verprügelt und im ganzen Umfeld schlechtgemacht. Für den elfjährigen Jonathan war danach nichts mehr wie zuvor. Er wurde fortan gemieden und nicht mehr zu Geburtstagen eingeladen.

Eine Stütze fand er im Schreiben von Gedichten. Dass sie „ein gutes Mittel sind, schwierige Situationen zu verarbeiten“, habe er bereits nach der Trennung seiner Eltern erlebt, erzählte der heute 45-Jährige bei der Veranstaltung „Guck mal, der Jude“ in der Evangelischen Akademie. Die Liebe zum Reimen machte er später zum Beruf. Unter dem Künstlernamen Ben Salomo stieg er zu einem der erfolgreichsten Deutschrapper auf. Ein Genre, in dem Antisemitismus inzwischen an der Tagesordnung ist. Trotz seines sehr beliebten Youtube-Formats „Rap am Mittwoch“ kehrte er 2018 schließlich der Szene den Rücken.

Auf Einladung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit und der Evangelischen Akademie klärte Kalmanovich über die erschreckende Judenfeindlichkeit unter deutschen Rappern auf. Als er 1998 dazu stieß, habe er noch keine Anfeindungen erlebt. „Dabei wussten alle, ich bin Jude.“ Nach dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 hätten jedoch antisemitische Verschwörungslegenden zu kursieren begonnen und in die Texte Einzug gehalten. Die finde man mittlerweile bei fast allen großen Namen einer Szene, deren Star-Manager sich das Gesicht des Hisbollah-Anführers auf den Handrücken tätowieren ließ.

In diesem Zusammenhang erinnerte Jonathan Kalmanovich an den „Echo“-Preis-Skandal. Trotz Sätzen wie „Mein Körper ist definierter als von Auschwitzinsassen“ und „Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm' an mit dem Molotow“, wurde dem Rap-Duo Farid Bang und Kollegah 2018 der wichtigste Musikpreis Deutschlands verliehen. Weil es daraufhin Proteste hagelte, wurde der Preis am Ende abgeschafft. Das Aus für antisemitische Texte bedeutete das freilich nicht.

„Zwischen 2010 und 2020 haben deutsche Rapper über 120 Songs mit antisemitischen Inhalten produziert“, sagte Jonathan Kalmanovich und verwies auf eine Studie vom vergangenen Jahr die zeigt: „Antisemitismus wie auch Frauenfeindlichkeit und Homophobie ist bei Jugendlichen, die Gangster-Rap hören, deutlich höher.“ Seit er 2019 das Problem in seinem Buch „Ben Salomo bedeutet Sohn des Friedens“ thematisierte, klärt der Vater zweier Kinder für die Friedrich-Naumann-Stiftung in Schulen über die Auswüchse im Deutschrap auf. Zumal vor allem „die Jüngeren meist nicht wissen, was hinter den Textzeilen steckt und Antisemitismus irgendwann als normal begreifen“.

Umso mehr bedauert Jonathan Kalmanovich die „Scheu vieler Lehrer, Antisemitismus im Unterricht anzusprechen“. In den Schulen sollte zudem „die Aufklärung über jüdische Geschichte und jüdisches Leben selbstverständlich sein“. „Es ist oft nicht bekannt, dass jüdisches Leben genauso vielfältig wie christliches oder muslimisches ist und sich von säkular bis sehr religiös erstreckt.“ Eine Chance sieht er im Bekenntnis zur Einwanderergesellschaft. Sie könnte einen „Ruck in Deutschland“ bewirken, der ihm Grund für die Hoffnung liefere: „Es gibt hier eine Zukunft für mich und meine Kinder.“

Den Schulen schreibt auch die Leiterin des Jugendzentrums der jüdischen Gemeinde Frankfurt, Tamara Ikhaev, eine maßgebliche Rolle bei der Bekämpfung antisemitischer Ammenmärchen zu. „Es ist wichtig, dass Lehrer mehr vermitteln als nur die harten Facts über den Holocaust. Sie müssen auch über Stereotypen aufklären, antisemitische Äußerungen entlarven und erklären, was Jüdischsein bedeutet.“ Dass es in Deutschland seit 1700 Jahren jüdisches Leben gibt, sei trotz der Feiern im vergangenen Jahr nur wenigen bekannt.

Die 22 Jahre alte Wirtschaftspsychologie-Studentin ist ebenfalls in Schulen unterwegs und immer wieder erstaunt: „Ich treffe dort Kinder, die das erste Mal einer Jüdin begegnen und überrascht sind, dass ich nicht den gängigen Vorurteilen entspreche.“ Sie selbst wechselte nach neun Jahren von einer jüdischen Schule in eine staatliche wo sie erlebte, wie „weit verbreitet antisemitische Witze und Schmähungen“ sind. Wie auch andere jüdische Jugendliche habe sie anfangs „nicht begriffen, wie schlimm die Texte oder Kommentare sind und sie nicht als antisemitisch eingestuft“. Erst als sie älter wurde, habe sie bei Bemerkungen wie „Tamara, du hast ja gar keine jüdische Nase“ nicht mehr geschwiegen.

Tamara Ikhaev findet es außerdem „erschreckend, wie viele antisemitische Tweets inzwischen auf Twitter zirkulieren“. „Trotz der ansteigenden Hetze fühlen sich nur wenige Deutsche angesprochen, wenn es um Aufklärung über Antisemitismus geht. Vor dem wachsenden Antisemitismus werden die Augen verschlossen, obwohl er im Grunde kein jüdisches Problem, sondern eines der deutschen Gesellschaft ist“, bringt die frühere Präsidentin des Verbandes Jüdischer Studierender Hessen (VJSH) die Situation auf den Punkt. In jüngster Zeit hätten das wieder die Holocaust-Vergleiche bei den Corona-Demonstrationen oder der Antisemitismus-Skandal bei der Documenta deutlich vor Augen geführt.

Der frühere Leiter der HR-Fernsehredaktion Gesellschaft, Politik, Religion, Meinhard Schmidt-Degenhard, moderierte die Veranstaltung und bestätigte ihre Einschätzung mit aktuellen Befragungsergebnissen. Denen zufolge sagen „acht von zehn jüdischen Deutschen, dass der Antisemitismus stark zugenommen hat, wohingegen acht von zehn nichtjüdischen Deutschen sagen, dass Antisemitismus hier keine Rolle spielt“. Tamara Ikhaev baut wie Jonathan Kalmanovich auf die jüngere Generation und hofft, „dass sich Dinge ändern und in Deutschland Jüdischsein irgendwann normal sein wird“. „Ich bin hier geboren, habe einen deutschen Pass und bekomme neben antisemitischen Bemerkungen auch nach dem Motto ‚ich habe nichts gegen Juden, aber ...' oft Vorwürfe gegen Israel zu hören.“


Schlagwörter

Autorin

Doris Stickler 76 Artikel

Doris Stickler ist freie Journalistin in Frankfurt.

0 Kommentare

Zu diesem Artikel wurden noch keine Kommentare verfasst. Schreiben Sie doch den ersten.

Artikel kommentieren

Wir freuen uns, wenn unsere Beiträge zu Diskussion und Austausch beitragen. Dabei bitten wir, auf angemessene Umgangsformen zu achten und die Meinung anderer zu respektieren. Bei Verstößen gegen unsere Netiquette-Regeln behalten wir uns vor, Kommentare nicht zu veröffentlichen.

Mit * markierte Felder sind Pflichtfelder.

Errechnen Sie die Summe der dargestellten Zahlen
Captcha =