Kunst & Kultur

Textsicher durch die Heilige Nacht

Zum Heiligabend-Gottesdienst am 24. Dezember gehört ein Krippenspiel bis heute dazu – die Tradition wurzelt im 10. Jahrhundert. In vielen Gemeinden haben die Proben bereits begonnen.

Voriges Jahr bei den Proben zum Krippenspiel in der Mariengemeinde in Frankfurt-Seckbach. |Foto: Rui Camilo
Voriges Jahr bei den Proben zum Krippenspiel in der Mariengemeinde in Frankfurt-Seckbach. |Foto: Rui Camilo

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Quirinius Statthalter in Syrien war. Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeder in seine Stadt...“

Die Weihnachtsgeschichte ist der bekannteste Abschnitt der Bibel, die meisten Kindergartenkinder können sie inhaltsgetreu erzählen. Das Personal ist bekannt und beliebt: Maria, Josef, Ochse, Esel, drei heilige Könige, Schafe, Hirten, Engel und ein Baby. Das Setting auch: ein Stall.

Es ist aber eine Geschichte, die sich aus unzähligen unterschiedlichen Blickwinkeln erzählen und interpretieren lässt. Davon lebt eine Tradition, die mehr als 1000 Jahre alt ist und sich in den Weihnachtsgottesdiensten der meisten christlichen Konfessionen hält: das Krippenspiel.

Es ist stets ein Highlight für Kinder und Eltern, und eine Herausforderung für die künstlerische Leitung. Andrea Haase, 52 Jahre alt, kennt sich aus. Die Seckbacherin leitet in der Mariengemeinde seit Jahrzehnten Jugendgruppen des CVJM, das Krippenspiel betreut sie 2019 zum wiederholten Mal gemeinsam mit Nina Schuhmacher.

„Es ist schön zu sehen, wie sich Kinder von Jahr zu Jahr entwickeln – und auch, wie das Krippenspiel in den Probenwochen ab Herbst Gestalt annimmt. Man durchlebt dabei Momente von tiefster Verzweiflung bis hin zu tiefer Rührung.“ Die Schauspielerinnen und Schauspieler sind meist etwa zwischen drei und 14 Jahre alt, und nicht immer ist das Verteilen der Rollen leicht. Nach Hause geschickt wird bei der ersten Probe in Seckbach aber kein Kind, die Anzahl der Mitspielenden ist ja variabel: Ein weitere Hirte, ein zusätzliches Schaf und ein elfter Engel können immer untergebracht werden.

Seit dem 10. Jahrhundert gab es das Krippenspiel am Altar um Maria, Josef und das Christuskind. Auch die Verkündigung der Geburt Christi an die Hirten (Hirtenspiel) und die Huldigung des Kindes durch die Heiligen Drei Könige (Dreikönigsspiel) wurden seit dieser Zeit dramatisch dargestellt.

Aus diesen so genannten „Mysterienspielen“ entstanden im 12. Jahrhundert die Weihnachtsspiele. Das Krippenspiel gilt nicht nur in Frankfurt-Seckbach als eine der kreativsten Aufgaben, die eine Gemeinde zu vergeben hat. „Manchmal hatten wir schon selbst geschriebene Stücke, wir lassen uns bei der Planung aber auch fertige Stücke kommen und wählen das aus.“

Die Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen, die nur scheinbar wenig Varianten zulässt, sind unendlich: Mal stehen die Engel im Mittelpunkt, mal die Tiere, mal konzentriert sich die Handlung auf die Herbergssuche von Josef und Maria, manchmal sind die Dialoge der Könige entscheidend.

Wie auch immer: Es muss Text gelernt werden, zumindest von wichtigsten Protagonistinnen und Protagonisten. „Da erlebt man große Überraschungen“, berichtet Andrea Haase. „Manche Kinder wachsen da über sich selbst hinaus.“ Und der große Moment, wenn am Altar der Weihnachtsbaum leuchtet und die Glocken verklungen sind, wenn die Herzen der kleinen Schäfchen, Engel und Hirten schneller pochen (und die ihrer Eltern mit dazu), der ist ein besonderer. Auch für Andrea Haase: „Es ist jedes Mal ein Wunder, wenn am Ende tatsächlich alles klappt.“


Autorin

Anne Lemhöfer 144 Artikel

Anne Lemhöfer interessiert sich als Journalistin und Autorin vor allem für die Themen Kultur, Freizeit und Gesellschaft: www.annelemhoefer.de