Kunst & Kultur

Vincent van Gogh – ein religiöser Maler?

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Großen Ansturm hat die Ausstellung „Making van Gogh" im Städel erfahren. Am Sonntag, 16. Februar, endet die Schau. Der evangelische Pfarrer für Stadtkirchenarbeit am Museumsufer, David Schnell, hat sich in einem Beitrag für die "Evangelische Sonntagszeitung" mit der Ausstellung und dem Leben van Goghs befasst.

Noch bis Sonntag, 16. Februar, kann die Ausstellung "Making van Gogh" besucht werden  |  Foto: Städel Museum - Norbert Miguletz
Noch bis Sonntag, 16. Februar, kann die Ausstellung "Making van Gogh" besucht werden | Foto: Städel Museum - Norbert Miguletz

Van Gogh – bei diesem Namen denken Viele an Gemälde von lichtdurchfluteten Landschaften, farbkräftigen Stillleben, ausdrucksvollen Portraits und immer wieder Sonnenblumen.

War der Schöpfer dieser Bilder auch ein religiöser Künstler? Spielten in seiner Inspiration und in dem, was er zum Ausdruck bringen wollte, Gott oder Jesus Christus eine Rolle? Man kann diese Fragen eindeutig bejahen! Van Gogh war ein religiöser Mensch und Künstler durch und durch!

Derzeit können noch bis zum 16. Februar eindrucksvolle Beispiele seines Schaffens in der großen Sonderausstellung „Making van Gogh. Geschichte einer deutschen Liebe“ im Städel Museum in Frankfurt am Main bewundert werden. Und dabei kann man auch dem tiefgläubigen Künstler van Gogh begegnen.

Vincent van Gogh war der Sohn eines reformierten Pfarrers in den südlichen Niederlanden. Gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder Theo wuchs er im Pfarrhaus in der sehr ländlichen Umgebung von Groot-Zundert in der Provinz Noord-Brabant auf. Die Frömmigkeit und auch die Theologie seiner Eltern haben ihn für sein Leben geprägt. Als junger Mann, bevor er sich endgültig entschied, als Künstler zu leben und zu arbeiten, probierte sich Van Gogh in einigen Berufen aus, unter anderem auch als Laien-Prediger. Ein Theologiestudium hatte er zuvor abgebrochen, bevor er es richtig begonnen hatte – es fiel ihm schwer, sich dem Lehrbetrieb in der Universität, überhaupt einem Unterricht unterzuordnen.

Trotzdem lebte und wirkte er einige Zeit als Laien-Prediger in Borinage bei Mons, einem belgischen Steinkohlerevier, wo die Menschen in besonders großer Armut lebten. Van Gogh sah die Solidarität mit armen Menschen als Zentrum des Christentums an. So verschenkte er Kleidungsstücke und Geld, lebte selbst in ärmlichen Verhältnissen und kleidete sich nur noch in Lumpen und Kleidungsfetzen. Dies missfiel seinen kirchlichen Vorgesetzen, die insbesondere seine Kleidung als nicht standesgemäß für einen Hilfs-Prediger erachteten und deshalb den Vertrag seines Predigtauftrages nicht verlängerten.

Dies führte zu einer Abwendung van Goghs von der Institution Kirche, die für ihn aufgrund dieser Erfahrungen heuchlerisch und inkonsequent erschien. Zentrale Inhalte des Christentums begleiteten ihn aber weiterhin und sollten auch seine Kunst mitprägen.

Dies wird schon in den Werken seiner frühen Schaffensperiode in den Niederlanden deutlich, als van Gogh wieder in das Pfarrhaus seiner Eltern zurückzog und Motive des ländlichen, bäuerlichen Lebens in dessen Umgebung malte. Diese Gemälde sind von sehr erdigen und dunklen Farbtönen geprägt, ganz anders als seine späteren berühmten farbigen Werke. Das bäuerliche Leben erscheint hier sehr karg und ärmlich, aber darin durchaus gottgefällig. Nach reformierter Tradition, in der van Gogh aufwuchs, ist es Aufgabe des Menschen, dem Willen Gottes dadurch gerecht zu werden, indem man den von Gott vorher bestimmten Ort und Beruf und auch die damit verbundenen Arbeiten und Mühen auf sich nimmt – im Himmel wird man einst den Lohn dafür empfangen, wenn man das irdische „Jammertal“ hinter sich gelassen hat. Für van Gogh scheinen die Bäuerinnen und Bauern diesem Ideal am meisten zu entsprechen, wie er überhaupt immer mehr das Landleben, weil es so naturverbunden ist, als das „reinere“ und gegenüber der Großstadt bessere Leben ansieht.

So zieht er, nachdem er zuvor allerdinge einige Jahre in Paris gelebt hat und sich im damaligen Zentrum der Künste inspirieren ließ, ganz bewusst aufs Land, nach Arles in der Provence. Hier und während des Aufenthaltes in der Psychiatrie in St. Remy und schließlich im kleinen Dorf Auvers sur Oise bei Paris, innerhalb eines Zeitraum von 2-3 Jahren, entstehen seine berühmten, „typischen“ Werke. Auch die bäuerlichen Motive bleiben erhalten, aber in veränderter Darstellungsweise.

Die Armut des bäuerlichen Lebens tritt nun vollkommen zurück, das Landleben wird idyllisiert und idealisiert. Wir finden jetzt auf van Goghs Bildern in helleren Farbtönen immer wieder kraftvolle Landarbeiter, insbesondere einen Sämann, der mit ausfallendem Schritt die Samenkörner auf dem Acker verteilt. Der Sämann ist eindeutig ein biblisches Motiv und dies war dem biblisch gebildeten van Gogh durchaus bewusst. Insbesondere das Gleichnis vom Sämann (Markus 4) ist hier zu nennen, in dem der Samen ausdrücklich als „Gottes Wort“ bezeichnet wird, das vom Sämann, also Gott bzw. Christus in die Welt – den Acker – geworfen wird und dort gute Frucht bringen soll. Und genauso sieht es auch van Gogh in Bezug auf seine Gemälde, wie wir aus Äußerungen Vincent van Goghs insbesondere gegenüber seinem Bruder Theo wissen. Zuweilen identifiziert er sich selbst mit dem Sämann, also mit Christus: So wie Christus das Wort Gottes in die Welt bringt, das ganz neu und verändernd ist, so tut dies van Gogh mit seiner Kunst, die ebenfalls vollkommen neu und erlösend sein soll. Van Gogh hatte zuweilen wenig Scheu, sich selbst quasi in eine gottähnliche Position und Rolle zu setzen, womit er allerdings auch viele Nachahmer bei Künstlern des beginnenden 20. Jahrhundert fand.

Ebenso wie das Säen, spielt auch die Ernte in einigen Werken von van Gogh eine wichtige Rolle. Auch hier dürfte ihm die biblische Bedeutung der „Ernte“ bewusst sein: Sie steht dort oft für die „Endzeit“, auch für das Gericht, aber auch der Freude über das gelungene Wachsen der Saat, auch nach vielen Entbehrungen: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben“ (Psalm 126, 5f.). Vielleicht hat van Gogh gerade an solche Bibelverse gedacht, wenn er die Getreideernte malte mit vollen Garben, die im hellen Licht der Sonne glänzen.

Überhaupt die Sonne: Sie ist ein weiteres, wenn nicht sogar das zentrale religiöse Motiv in der Malerei von van Gogh. Für ihn ist die Sonne die Quelle allen Lichtes, der Lebenskraft und damit der gesamten Schöpfung. Ja, er kann die Sonne somit durchaus mit Gott, bzw. auch hier wieder mit Christus, dem „Licht der Welt“ (Johannes 8, 12), identifizieren. Und so erleben wir auf seinen Gemälden etwas, was in der Natur nicht möglich wäre, ohne das Augenlicht zu verlieren, und zudem so vor van Gogh nicht, außer von Kindern, gemalt wurde: Wir schauen der Sonne frontal ins „Angesicht“, die auf van Goghs Gemälden als runder Kreis mit vielen Strahlen drum herum erscheint. In der Bibel kann man Gott ebenfalls nicht ins „Angesicht“ schauen, ohne sterben zu müssen (2. Mose 33, 20) – dieser Parallelität war sich van Gogh bewusst. Auf seinen Bildern wird das Unmögliche möglich gemacht, können wir direkt und ohne Einschränkungen der Sonne, und damit Gott und Christus gegenübertreten!

Im heute nach wie vor berühmten und populären Werk van Goghs (die immens hohen Besucher*innenzahlen der Ausstellung im Städel sind ein Ausdruck davon) lassen sich immer wieder Überraschendes, Ungewohntes und neue Perspektiven entdecken – nicht zuletzt in religiöser Hinsicht. Vincent van Gogh, ein einzigartiger Künstler, der in seinen Bildern einmalige Möglichkeiten bietet, Gott zu begegnen.


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