Leben & Alltag

Gläubig und queer – warum nicht?

Liam Rademacher ist ein schwuler Transmann und evangelischer Christ. Für manche Mitglieder beider Communities passt das nicht zusammen.

Liam Rademacher ist durch den Weg der Transition selbstbewusster geworden. | Foto: Rolf Oeser
Liam Rademacher ist durch den Weg der Transition selbstbewusster geworden. | Foto: Rolf Oeser

Viele Fische tummeln sich auf dem selbstgemalten Bild. Einer von ihnen trägt einen Hut. Er fällt auf, sticht aus der Menge heraus, und scheint sich wohlzufühlen. Er lächelt. „Du bist gewollt, kein Kind des Zufalls, keine Laune der Natur“ – mit dem Text eines Tauflieds verleiht Hannah von der evangelischen Stadtjugendvertretung in Frankfurt, ihrem Bild Ausdruck. „Du bist gut so, wie du bist“, sagt sie in ihrer Andacht.

„Das war sehr schön“, sagt ein blondes Mädchen. Auch Liam ist begeistert. Der Fisch mit dem Hut, das könnte er sein. Auch wenn es Jahre gedauert hat, bis er sich wohlfühlte. Bis er die Worte des Liedes verinnerlichen konnte. Liam ist queer. Er identifiziert sich als schwuler Transmann.

Was den 18-Jährigen auf den ersten Blick aus der Menge herausstechen lässt, sind seine verwuschelten blauen Haare. Sie bilden einen Kontrast zur schwarzen Kleidung. Nur auf dem Christopher Street Day trage er bunte Sachen, erzählt Liam. Jenem Tag also, an dem jedes Jahr an die Proteste queerer Menschen gegen Polizeigewalt am 28. Juni 1969 in der New Yorker Christopher Street erinnert wird.

Liam dachte mit elf Jahren zum ersten Mal, dass er trans sein könnte. Also ein Junge, obwohl alle aufgrund seines Körpers davon ausgingen, er wäre ein Mädchen. Wie er damit umgehen sollte, wusste er nicht. Er schaute Dokumentationen über andere Transmenschen, die schon als Kinder die ihnen zugewiesene Geschlechts-Zuschreibung ablehnten. Davon fühlte Liam sich nicht repräsentiert. „In den Dokus sind das häufig diese stereotypen Transmenschen, die man sich halt so vorstellt.“ Aber Liam definiert sich nicht über klischeehafte Männlichkeit. Er interessierte sich nie für Fußball. Rosa ist für ihn keine Farbe des Grauens, und als Kind hat er durchaus gern Kleider getragen.

Deshalb dauerte es sechs Jahre vom ersten Gedanken bis zur Entscheidung, sich zu outen. Immer wieder fragte er sich: „Bin ich überhaupt trans genug, um trans zu sein?“ Liam spricht reflektiert über sich und seine Geschichte. Beim Erzählen fährt er sich immer wieder verlegen durch sein Haar. Mal verwuschelt er es, mal durchkämmt er es mit gespreizten Fingern. Seine Stimme ist ruhig, hin und wieder lacht er auf.

In der evangelischen Jugendgruppe, wo seine Freunde und Freudinnen sind, ist er geradezu aufgedreht. Er begrüßt die anderen, macht Witze, lacht viel – nicht verlegen, sondern aus vollem Herzen – und kommentiert so gut wie alles. Vielleicht einer der Gründe, weshalb seine Eltern überrascht waren, als er sich outete, und sein jüngerer Bruder ihm zunächst nicht glaubte. Sie fanden, dass Liams „aufgedrehte“ Art gut zu einem Mädchen passt. Er sei doch kein „typisch männlicher Mann“, bekam er zu hören, oder auch Sätze wie: „Du warst doch so ein schönes Mädchen!“ In der queeren Community machen viele Menschen solche Erfahrungen: „Wenn du vor deiner Transition schön warst, verzeihen die Leute dir nicht, dass du deinen Körper veränderst“, sagt Liam.

Auf dem Christopher Street Day hat Liam schon erlebt, dass zwei Dinge, die ihn ausmachen, aneinandergeraten können: Sein Queer-Sein und sein christlicher Glaube. „Jesus kann euch retten“, rufen ihm wildfremde Menschen zu, die die Gelegenheit zur Mission für fundamentalistische Ideen nutzen. Liam kann das nicht teilen: „Jesus braucht mich nicht zu retten. Er liebt mich so, wie ich bin.“ Dass das so ist, hat er nie angezweifelt. Nie hatte er das Gefühl, sich aufgrund seiner Transition neu vor Gott stellen und beurteilen lassen zu müssen. Die Zweifel, der Hass – das alles komme nur von Menschen, die die Religion missbrauchen, sagt Liam. Die Homosexualität ablehnen wegen Bibelversen wie in 3. Mose 20,13: „Und wenn ein Mann bei einem Mann liegt, wie man bei einer Frau liegt, haben beide einen Gräuel verübt.“ Für Liam sagen diese Verse nichts darüber aus, ob Gott ihn liebt. Glücklicherweise sind auch die Mitglieder der St. Nicolai-Gemeinde im Frankfurter Ostend, zu der er gehört, keine religiösen Fundamentalisten. „Die Reaktion war weder krass negativ noch krass positiv. Ich wurde einfach akzeptiert“.

Die Entscheidung, sich in der Gemeinde zu engagieren, begründet Liam damit, dass die Kirche von Menschen gemacht sei und nur diese sie verändern könnten. Werte wie Akzeptanz und Nächstenliebe – in der queeren und in der christlichen Community sieht er viele Übereinstimmungen. Auch wenn deren Mitglieder sich nicht so einig sind: Auf der einen Seite gibt es Christ:innen, die ihm vorwerfen, in Sünde zu leben, auf der anderen Seite Menschen aus der queeren Community, die nicht verstehen, weshalb er Teil der Kirche, also des „Feindes“ ist.

Aber Liam ist es inzwischen gewöhnt, als Person hinterfragt zu werden. Auf dem langen Weg der Transition habe er genug Selbstbewusstsein erlangt, um zu wissen, dass er gut ist, so wie er ist. „Ich kann sowieso nicht alle glücklich machen“, sagt er. In erster Linie gehe es darum, dass er selbst glücklich ist. Denn was bringt es, sich anzupassen, aber dann zu leiden?

Liam hat gelernt, wie der gemalte Fisch mit dem Hut zu sein: anders. Und zufrieden.


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Monja Stolz 14 Artikel

Monja Stolz ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins.

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