Leben & Alltag

Hoffnung und Erschöpfung am Semesterende

Die Evangelische Studierendengemeinde ist für Leute aus aller Welt und allen Glaubens Ansprechpartnerin. In Zeiten von Corona waren die Beratung und die Treffen, ob digital oder im „offenen Wohnzimmer", ein Anker.

Tanvir Morshed aus Bangladesch studiert im 5. Semester in Frankfurt Wirtschaftswissenschaften  |  Foto: privat
Tanvir Morshed aus Bangladesch studiert im 5. Semester in Frankfurt Wirtschaftswissenschaften | Foto: privat

Ihre Hobbys? „Lesen, Filme schauen, mit anderen spazieren gehen“ – ob die Soziologiestudentin Parina Lwagun wohl in Vor-Corona-Zeiten auch diese bevorzugten Freizeitbeschäftigungen genannt hätte? Einen Vorteil hat die 31 Jahre alte Nepalesin, die 2012 als Au-pair nach Deutschland kam und 2014 nach Frankfurt zurückkehrte, um an der Goethe-Uni ein Studium zu beginnen – sie ist schon länger hier vernetzt. Unter anderem über die Evangelische Studierendengemeinde (ESG), bei deren offenen Treffs, Debatten und Kochrunden die Hinduistin oft dabei ist.

Anders ist die Lage von Tanvir Morshed aus Bangladesch, der in Frankfurt das Fach Wirtschaftswissenschaften an der Goethe-Universität belegt. Der 26-Jährige hatte wenig Gelegenheit, auf dem Campus in entspannter Atmosphäre nach der Vorlesung ins Plaudern zu kommen. Morshed beendet jetzt das fünfte Semester. Das Studium kennt er vor allem im Online-Format, via Video-Kachel. Auch Tanvir Morshed kommt gerne ins „offene Wohnzimmer“ der ESG, „verschiedene Leute sind da, wir haben viel Freiheit, zu diskutieren“. Er ist Muslim, hier kommt er mit Christinnen und Christen, aber auch mit Leuten, die an keinen Gott glauben, ins Gespräch – über vieles, ob heiter, wichtig oder belanglos.

Studierendenpfarrerin Anke Spory I Foto: Patrick Smith
Studierendenpfarrerin Anke Spory I Foto: Patrick Smith

Einfach mal reden, sonntagmorgens, Langschläfer:innen können gerne später auftauchen, Brötchen, Marmelade und was auch immer alles auf dem Tisch steht gemeinsam genießen mit bekannten und neuen Gesichtern, Menschen zu begegnen – das kommt an bei Studierenden, egal welchen Glaubens. „Wir merken, es tut so gut, mal wieder zusammenzukommen“, sagt Studierendenpfarrerin Anke Spory.

Im Sommer gab es eine Reihe an Outdoor-Aktivitäten der ESG, wie Suppenausschank oder Konzerte an der frischen Luft. Im Winter dagegen erfolgten viele Absagen – angesichts hoher Inzidenzen gab es doch keinen ESG-Flohmarkt, keine Mode-Aktion zur Fashion Week, auch das interreligiöse Totengedenken, das mit anderen Religionen zum Ewigkeitssonntag geplant war, musste ausfallen. „Der Winter hat nicht gutgetan“, sagt Spory. Sie beobachtet, dass die Kacheln zunehmend schwarz bleiben bei Treffen und wenn doch in persona, dann weiterhin vielfach mit Kinderzimmerkulisse. „Hotel Eltern“ diente vielen nicht nur als erste Pandemie-Ausflucht. Wozu ein Zimmer zahlen, das doch keine Basis fürs Entdecken von Stadt und Bewohner:innen sein kann?

Friederike Lang von der ESG  |  Foto: Patrick Smith
Friederike Lang von der ESG | Foto: Patrick Smith

Sporys Kollegin Friederike Lang, Kulturanthropologin, ist bei der ESG an der Goethe-Uni für Internationale Arbeit und Beratung zuständig. Sie ist Ansprechpartnerin für ausländische Studierende soweit sie nicht aus den USA, Japan oder der EU kommen. Ein Thema, das bei sehr vielen ihrer Gespräche auftaucht, ist Geld. Zwölfmal den BAföG-Satz von 853 Euro müssen die Studierenden nachweisen für die Aufenthaltsgenehmigung, „immer da ist die Angst vor der Ausländerbehörde“. Die ESG vermittelt Überbrückungshilfen für drei Monate à 300 Euro, Lang gibt Tipps in Sachen Behörden, sie erläutert Stipendien. Morshed beispielsweise wird neuerdings von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt. Parina Lwagun erhält Mittel von dem Evangelischen Hilfswerk „Brot für die Welt“.

Beide verdienen neben dem Studium. Seinen Flughafenjob hat der angehende Wirtschaftswissenschaftler in der Pandemie verloren, aktuell trägt neben dem Stipendium ein HiWi-Job an der Uni zu seinem Lebensunterhalt bei. Lwagun, die derzeit nach einem Thema für ihre Masterarbeit sucht, hat früher 80 Stunden im Monat für einen Pflegedienst gearbeitet, jetzt ist sie dort mit weniger Stunden auf 450-Euro-Basis beschäftigt. Ihre Familie in Kathmandu ringt selbst um ihr Auskommen in der Pandemie – Geld schicken ist nicht möglich – aber viele Bilder und Grüße gehen über Messenger und Videoanrufe zwischen dem Himalaya und Frankfurt hin und her.

Pfarrerin Spory sieht die Situation der Nicht-EU-Bürger:innen an der Universität als besonders prekär an. Aber auch die hiesigen rängen mit dem Geld, „die haben auch ihre Jobs verloren“, und mit dem Alleinsein, den nicht stattfindenden Partys, der fehlenden Unbeschwertheit bei Begegnungen. Dieser Tage wurde bei einem Vor-Ort-Treffen mit Studierenden das Motto für das Sommersemester ausgesucht: „Wir machen uns auf!“ – in all seiner Vieldeutigkeit.

Die Studierenden hätten in den vergangenen zwei Jahren auf vieles verzichtet, gesellschaftlich sei das zu wenig beachtet worden, findet die Theologin. „Es wäre gut, sie mehr in den Blick zu nehmen.“


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Bettina Behler 330 Artikel

Bettina Behler, Medieninformation Evangelische Öffentlichkeitsarbeit Frankfurt und Offenbach