Leben & Alltag

FIFA, Counter-Strike und Co: Wenn Online-Spiele süchtig machen

Viele Online-Spiele enthalten Glücksspiel-Elemente. Veit Wennhak berät bei der Evangelischen Suchtberatung in Frankfurt Jugendliche und junge Erwachsene, die Probleme damit haben und oft viel Geld verlieren. Sein Rat: Lieber früher als später Hilfe suchen.

Kennt sich aus mit Glücksspielen: Suchtberater Veit Wennhak. | Foto: Rolf Oeser
Kennt sich aus mit Glücksspielen: Suchtberater Veit Wennhak. | Foto: Rolf Oeser

Hören Sie das Gespräch mit Veit Wennhak als Podcast


Herr Wennhak, schon seit zehn Jahren bieten Sie Fachberatung für Jugendliche und junge Erwachsene an, die Probleme mit Online-Glücksspielen haben. Worum geht es da?

Da gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. Man kann einerseits im Internet ganz klassisch in ein Casino gehen und an Automaten zocken. Für Jugendliche besonders anziehend sind aber Sportwetten, weil es da einerseits um das Hobby der Jugendlichen geht – Kicken, Tennis spielen, Basketball – und man erstmal nur Taschengeldbeträge braucht. Ich kann für zwei Euro einen Schein machen, also wetten, und mir einreden, ich hätte eine große Chance, da etwas zu gewinnen, weil ich Ahnung habe von diesem Sport. Das sind Summen, die auch Jugendliche immer mal übrig haben.


Ist das denn überhaupt erlaubt, dass Jugendliche Sportwetten abschließen?

Gerade im Sportwettbereich hat der Jugendschutz lange Zeit nicht richtig funktioniert. Jugendliche konnten in den Wettbüros Scheine machen, und keiner hat nachgefragt. Oder es war klar, dass sie ältere Brüder oder Freunde vorschieben. Eigentlich sind Glücksspiele hier in Deutschland erst ab 18 legal, mit Ausnahmen der Losbuden auf der Dippemess, bei denen es aber nicht um Geldgewinne geht, sondern um Sachpreise. Leider wurde die Altersgrenze lange nicht eingehalten und es ist auch heute noch schwierig.


Und was ist mit Videospielen?

Ja, auch viele Videospiele für die Playstation oder die Xbox beinhalten Glücksspielelemente. Ein klassisches Online-Spiel ist FIFA, ein Fußballsimulationsspiel, bei dem man sich Mannschaften aus besonders guten Spielern zusammenstellen kann. Dafür kann man „Packs“ kaufen und hofft darauf, dass da ein besonders guter Spieler dabei ist. Vielleicht bekommt man für seine 2,50 Euro aber auch nur eine Gurke. Ähnlich ist es mit den „Lootboxes“ bei Ballerspielen wie Counter-Strike: Man kauft man einen virtuellen Behälter, der zufällig ausgewählte Items enthält. Das sind je nach Spiel Waffen oder spezielle Gegenstände, die dabei helfen, weiterzukommen. Man kann FIFA natürlich auch ohne Geld online gegen andere Menschen spielen, aber sich eine bessere Mannschaft zusammenzustellen, indem man solche Packs kauft, ist natürlich eine Verlockung. Die amerikanische Glücksspielbehörde hat relativ schnell festgestellt, dass das ein klassisches Glücksspiel ist und so nicht geht. Deshalb wurde es inzwischen etwas entschärft, und man kann sich jetzt das erste Pack anschauen, bevor man Geld investiert. Aber wenn man dann weitermacht und das nächste Pack kauft, ist es eben wieder eine reine Lootbox, also Glückssache.


Solche „In-App-Käufe“ gibt ja in den meisten Spielen. Sie sind zunächst einmal gratis, aber wenn man weiterkommen oder gewinnen will, soll man irgendwann Geld investieren.

Genau. Man hat dann ja einen Account, und kann, wenn man angemeldet ist, direkt diese Packs oder Lootboxes oder andere Dinge kaufen. Beim Online-Glücksspiel ist das auch deshalb ein großes Problem, weil man durch die Bezahlweise, bei der die Kosten automatisch abgebucht werden, natürlich leicht komplett den Bezug zum Geld verliert.


Es muss aber eine Kreditkarte hinterlegt sein, oder?

Ja, das ist meistens die der Eltern. Vielleicht hat man das Spiel zu Weihnachten geschenkt bekommen und kriegt noch dazu, dass man sich bestimmte Spieler kaufen darf. Es gibt aber als Alternative zur Kreditkarten so genannte „Paysafe-Karten“, mit denen man seinen Account mit Geld aufladen kann. Dann gibt es ein Limit. Ich bin der Meinung, das Ganze ist nicht per se problematisch. Wenn Jugendliche das hin und wieder machen, ist nichts dabei. Aber es hat sich herausgestellt, dass zumindest manche Jugendliche damit ein Problem entwickeln.


Inwiefern?

Wie bei anderen Suchtgefahren gibt auch bei Online-Spielen Belohnungsimpulse im Gehirn, durch die sich eine Abhängigkeit entwickeln kann. Viele glauben, Abhängigkeit hätte immer etwas mit einem Stoff zu tun, Alkohol oder Kiffen. Aber man kann auch von Verhaltensweisen abhängig werden. Diese Dopaminschübe, die jeder Gewinn in Glücksspiel auslöst, oder die tolle Waffe in meinem Counter-Strike-Spiel, der Moment, wenn die Lootbox aufgeht und es ist etwas Tolles drin, das sind alles kleine Kicks, an die man sich gewöhnen kann. Und dann möchte man die gerne regelmäßiger erleben.


Kann man sagen, wie hoch der Anteil der jugendlichen Online-Spieler ist, die ein problematisches Spielverhalten entwickeln?

Ich bin auch viel in Schulen unterwegs, meistens in Berufsschulen, und mache dort Informations- und Beratungseinheiten zum Thema Glücksspiel. Dazu gehört meistens auch ein Screening in der Schulklasse, das heißt, ich frage, wer denn schon Erfahrungen mit Glücksspielen gesammelt hat. Meistens sind das in einer Schulklasse so ein, zwei Leute, die das betrifft. Das passt auch mit den wissenschaftlichen Erhebungen zusammen: Wir haben in Frankfurt im Moment Prävalenzraten von grob fünf Prozent von Jugendlichen, die einmal in der Woche ein Glücksspiel betreiben.


Nur fünf Prozent? Das erscheint mir jetzt ja fast wenig.

Ja, das ist relativ wenig. Interessanterweise sind die Raten in den letzten Jahren auch gesunken. Die Jugendlichen sind heute ja generell sehr „brav“ geworden, in Anführungsstrichen. Beim Suchtverhalten gehen alle Prävalenzraten runter: Die Raucher*innenquote ist weitaus niedriger als noch vor zwanzig Jahren, dasselbe gilt bei Cannabis, es wird auch weniger Alkohol getrunken und so weiter. Hingegen steigt die Rate der Jugendlichen, die komplett abstinent leben, seit Jahren an. Das hat wahrscheinlich mit einem erhöhten Gesundheitsbedürfnis zu tun.


Das ist ja wirklich eine gute Nachricht. Gerade wo man immer so viel Negatives über die Jugend hört.

Ich finde auch, dass über die Jugend sehr viel Negatives erzählt wird. Meine Erfahrung ist, dass die Jugendlichen genau wissen, was läuft, und dass die „alright“ sind. Es ist mitnichten so, dass sie sich für nichts interessieren und alles egal finden und nur noch chillen, Generation Z oder wie man die nennt. Im Gegenteil, die haben ganz klare Vorstellungen, „Fridays for Future“ ist ja ein gutes Beispiel. Insofern mache ich mir da um unsere Jugend weniger Sorgen als noch vor zehn Jahren.


Das heißt, es geht bei Ihrer Arbeit eher darum, den wenigen, die betroffen sind, möglichst gut zu helfen.

Genau, und zwar möglichst frühzeitig, bevor sie sich schon total verschuldet haben. Unter allen Menschen, die Rauschmittel konsumieren, sind Glücksspielabhängige Menschen die Bevölkerungsgruppe, die am höchsten verschuldet ist. Deshalb ist es wichtig, dass wir da möglichst frühzeitig einschreiten. Je länger ich spiele, desto schwieriger ist es, davon wieder wegzukommen.


Der Übergang zwischen „Ich kaufe mir mal was“ und „Ich bin abhängig von neuen Lootboxen“ ist ja vermutlich fließend. Haben Sie da ein Warnsystem? Wer ist besonders gefährdet? Woran lässt sich der Umschlag von harmlos zu gefährlich erkennen?

Es gibt da schon bestimmte Merkmale. Ein Punkt ist natürlich die Menge an Geld, die fließt. Wenn Leute für ein Glücksspiel mehr Geld ausgeben, als sie eigentlich zur Verfügung haben, stimmt irgendwas nicht. Ein anderer Hinweis ist die Steigerung der Einsätze. Wenn man nach und nach immer mehr Geld ausgibt, ist das ein Merkmal für eine Abhängigkeitsentwicklung. Oder wenn man sich nur noch mit dem Spiel beschäftigt und andere Dinge oder wichtige Aufgaben vernachlässigt, in der Schule oder in der Ausbildung, aber auch wenn man keine Freunde mehr trifft.


Das wird ja schon länger diskutiert, dass Computerspiele abhängig machen können und zu sozialer Vereinsamung führen, auch ohne, dass da viel Geld im Spiel ist.

Ja, der Grund ist, dass man im Computerspiel Erfolgserlebnisse hat und Selbstwirksamkeit erfährt. Das ist ja eine Erfahrung, die viele Jugendliche nur selten machen: Dass sie als Mensch was reißen, etwas verändern können, sowohl für sich selbst als auch gesellschaftlich. Das fehlt vielen. Viele junge Menschen haben heute das Gefühl, dass es so viele Krisen und Konflikte gibt und sie darauf eigentlich keinen Einfluss haben. Da ist es natürlich schon verlockend, in so einem Computerspiel dieses Gefühl zu erleben: Ich kann das.


Ich kann sogar mal einen Krieg gewinnen.

Genau. Und das löst einen Belohnungsmechanismus im Gehirn aus. Der Einsatz von Geld verstärkt das Ganze nochmal, weil es dann wirklich um richtig was geht. Mit Geld kommt noch mehr Gehirnchemie ins Spiel, noch mehr Dopamin.


Wie beraten Sie Jugendliche in solchen Situationen?

Die Argumente tragen sie eigentlich schon in sich selbst. Die Jugendlichen, die hier zu einer Beratung landen, haben ja schon erfahren, dass es einen Nachteil an der Sache gibt, sonst wären sie nicht hier. Wir leisten in unserer Beratung Entscheidungshilfe, es ist eine Pro- und Kontra-Arbeit: Was ist der Vorteil an dem Glücksspiel für mich persönlich? Was ist der Nachteil unter Umständen? Was wäre vorteilhaft daran, wenn ich auf das Glücksspiel verzichte? Was wäre daran ein Nachteil für mich? Wir hoffen, damit einen inneren Dialog auszulösen, bei dem die Jugendlichen sich in einer Risikosituation fragen, was das bringt.


Das heißt, Sie setzen sehr auf Rationalität, auf Vernunft. Funktioniert das denn bei Suchtverhalten? Geht es da nicht eher um Gewohnheiten und Emotionen? Anders gesagt: Lässt sich in so einer Situation das Gehirn einschalten und sagen: Ich bin jetzt vernünftig und verzichte auf den Kauf einer Lootbox?

Richtig, was wir machen, ist im Prinzip ein verhaltenstherapeutisches Herangehen, aber dabei geht es gerade auch um Gefühle: Ich komme in eine Risikosituation und überlege ich mir dann, welche Stimmung habe ich jetzt. Nicht nur Jugendliche, sondern wir Menschen generell haben oft nicht den direkten Zugang zu unseren Gefühlen. Natürlich merke ich, wenn ich traurig oder irgendwie niedergeschlagen bin. Aber ich kann es mir manchmal gar nicht leisten, das an mich ranzulassen, weil ich weiter funktionieren muss. Das kriegen wir, glaube ich, schon auch anerzogen: Gefühle sind okay, aber sie dürfen dich auf keinen Fall in deinem Alltag so beeinflussen, dass du nicht mehr funktionierst. Wenn Menschen tatsächlich eine Abhängigkeit entwickelt haben, dann kommen sie oft überhaupt nicht dahinter, warum sie dieses Verhalten an den Tag legen, weil sie sich mit ihren eigenen Gefühlen nicht auseinandersetzen können oder wollen. Weil sie sich nicht die Zeit nehmen, weil sie sich diesen Raum zur Reflexion gar nicht gestatten. Diesen Raum zu geben, das ist bereits ein Teil der Beratung.


Und was können denn Eltern tun, wenn sie sich Sorgen machen um ihre Kinder? Ist es hilfreich, das Spielen einfach streng zu verbieten?

Kinder und Eltern haben immer ein bestimmtes Verhältnis zueinander, deshalb ist es individuell sehr unterschiedlich, inwiefern so eine Ansprache etwas nützt. Es ist in der Erziehung immer ein „Policy-Mix“ zwischen klarem Grenzenziehen auf der einen Seite, und Gesprächsbereitschaft auf der anderen Seite. Wichtig ist, sich dafür zu interessieren, was die Kids machen. Es kommen oft Eltern zu uns, die sagen: Der sitzt den ganzen Tag vor seinem Computerspiel. Aber wenn man mit sich dann mit den Jugendlichen unterhält, sagen die: Das stimmt gar nicht, ich spiele zwar auch ein, zwei, drei Stunden am Tag, manchmal auch natürlich zu viel, weil es auch tolle Spiele sind, aber ich gehe auch auf YouTube, ich gucke mir Instagram-Accounts an. Also sie zocken nicht nur, sondern es geht ihnen auch um soziale Kommunikation im Internet. Unter Umständen geht es sogar darum, etwas zu lernen und sich Wissen anzueignen.


Am Ende lesen die Jugendlichen am Bildschirm noch ein Buch!

Ja, das könnte auch sein. Und die Eltern kriegen es vielleicht gar nicht mit, denn wer setzt sich schon dazu und schaut genau hin. Es wird schon auch vieles aus Verdacht problematisiert. Ich will das Problem keineswegs verharmlosen, denn es gibt wirklich viele Kids, die zu lange online sind, die viel zu viel zocken. Aber wir müssen uns auch vergegenwärtigen, dass wir heute in andere Zeiten leben als in den 1970ern. Unsere technologische Umgebung ist eine ganz andere, und es ist doch klar, dass Kinder die nutzen. Auch wir als Erwachsene haben doch oft noch keinen richtigen Umgang damit gefunden. Wie viele Eltern schieben ihren Kinderwagen und gucken dabei in ihr Handy, oder steigen Sie mal in die U-Bahn, da gucken alle in ihr Handy.


Wobei man auch nicht weiß, ob die Mutter mit Kinderwagen gerade ihren Arzttermin ausmacht oder sonst etwas Wichtiges organisiert.

Ja, oder vielleicht macht sie sich eine Notiz für ihre wissenschaftliche Arbeit. Das kann alles sein. Man sieht einfach nicht, was die Leute tun, wenn sie auf den Bildschirm schauen.


Sind Schwierigkeiten beim Umgang mit Online-Spielen eher ein Problem von Jungen oder ist es halbe-halbe zwischen Jungen und Mädchen verteilt?

Es gibt eine Entwicklung, wonach sich die Nutzung von Glücksspielen zwischen den Geschlechtern angleicht, aber nach wie vor sind 90 Prozent der Menschen, die sich bei uns wegen Glücksspielproblemen beraten lassen, Männer.


Haben Sie dafür eine Erklärung?

Wahrscheinlich hat es was damit zu tun, dass Jungs risikoaffiner erzogen werden. Es gilt als männlich, ein Draufgänger zu sein und richtig ins Risiko zu gehen, seine Grenzen auszutesten oder sogar über die eigenen Grenzen hinauszugehen. Das gilt nicht nur für Glücksspielangebote, sondern auch für Alkohol, für Drogen aller Art. Auch bei Verkehrsunfällen, bei Suiziden und vielen anderen Dingen gehen Männer ein höheres Risiko ein. Manchmal wird das auf Testosteron zurückgeführt, aber diese geschlechterspezifischen Verhaltensweisen werden uns zum großen Teil anerzogen. Nicht nur von den Eltern, sondern generell gibt es einfach Erwartungen, dass man als Mann so sein muss.


Inzwischen gibt es allerdings auch viele Online-Spiele gerade für das Handy, die sich speziell sich an Frauen richten, Candy Crush und ähnliches. Auch da kann man Geld lassen.

Das ist richtig. Diese Spiele nach dem „Free-to-play“- und „Pay-to-win“-Prinzip sind ein Faktor. Ich habe hier öfter Jugendliche, die davon betroffen sind. Da kann man Geld investieren, um den Spielfortschritt zu beschleunigen, aber bekommt kein echtes Geld wieder zurück. Inwieweit sich das Geschlechterverhältnis in diesem Bereich umdreht, dazu kenne ich keine Statistiken, aber ich kann es mir vorstellen. Ich glaube, vor allem das ist ein spezielles männliches Ding, zu denken: Wenn ich jetzt Geld in diese Sache hineinstecke, komme ich unter Umständen als reicher Mann heraus.


Wie sieht es denn eigentlich aus mit Glückspiel-Sucht bei alten Menschen? Ich könnte mir vorstellen, gerade wenn wir über Einsamkeit im Alter sprechen, über Langeweile, über eingeschränkte Mobilität, dann könnte es doch eine Versuchung sein, sich beim Zocken im Internet die Zeit zu vertreiben?

Auf jeden Fall. Sucht im Alter generell ist schon länger ein Thema in der Fachdiskussion, aber bisher nicht speziell in Bezug auf Glücksspiel, sondern im Blick sind eher Alkohol und andere Drogen. Aber wir werden da einen Generationswechsel haben und vermutlich schon bald viele Senior*innen sehen, die die Playsi zocken oder andere online Glücksspiele. Auch da könnte ich mir vorstellen, dass Sportwetten ein erster Kontaktpunkt sind, denn die haben sie auch ohne Internet vielleicht schon ihr ganzes Leben immer mal wieder betrieben.


Wie finden denn gefährdete junge Menschen ihren Weg hierher zur Evangelischen Suchtberatung?

Ganz oft sind es die Eltern, die den Anstoß geben, wenn sie zum Beispiel merken, dass ihr Sohn Schulden hat und deshalb Post bekommt. Es ist aber wichtig, dass die Jugendlichen dann selbst hier anrufen und sagen, dass sie sich verändern wollen. Klar, als Eltern macht man sich große Sorgen und würde gerne Lösungen haben, aber wenn jemand eine Suchtberatung in Anspruch nimmt, muss diese Person eine Eigenmotivation haben und nicht nur von außen gedrängt werden. Das ist natürlich schwierig, wenn es eine richterliche Verfügung gibt. Zum Beispiel kriegen Jugendliche, die aus Geldmangel kriminelle Dinge machen, vom Gericht manchmal die Auflage, hier sich beraten zu lassen. Sie selbst haben aber noch überhaupt kein Problembewusstsein. Dann ist unsere Aufgabe auch, ihnen klarzumachen, dass es ganz gut wäre, eine eigene Motivation hinzubekommen. Meistens funktioniert das auch.


Vor gut zwei Jahren wurden Glücksspiele in Deutschland legalisiert. Finden Sie das gut oder schlecht?

Da bin ich ein bisschen ambivalent. Bevor 2021 der neue Glücksspielstaatsvertrag verabschiedet wurde, waren Sportwetten in Deutschland eigentlich illegal. Diese ganzen Tipico-Läden in den Stadtteilen und auch die Online-Angebote, das lief alles in einer Art Graubereich, weil diese Angebote nicht aus Deutschland kommen, sondern zum Beispiel im Fall von Tipico von der Insel Malta. Malta hat keine Glücksspielgesetze und übrigens auch keine Körperschaftssteuer, deswegen sitzen die da, speisen aber ihr Angebot in Deutschland ein. Ähnlich wie bei Cannabis: Diese Glücksspiele waren zwar illegal, aber sehr viele machten es trotzdem, und es wurde geduldet. Dabei wurde keinerlei Jugendschutz eingehalten, und diese illegale Situation hat auch nicht dazu geführt, dass weniger Angebot da gewesen wäre oder weniger Leute es genutzt hätten. Deshalb finde ich eine Legalisierung grundsätzlich ganz gut, denn dann gibt es klare Regeln. Andererseits hat die Legalisierung 2021 aber dazu geführt, dass es ganz viele neue Lizenzen für Sportwettangebote gab, selbst die Bildzeitung hat eine Sportwettlizenz gekauft und verkauft jetzt Sportwetten. Die gemeinsame Glücksspielbehörde der Länder, die die Begrenzungen kontrollieren soll, ist hingegen erst 2023 in den Arbeitsmodus gekommen. Es gab da also eine Lücke von zwei Jahren, in denen jede Menge neue Lizenzen vergeben wurden und viele Angebote einfach mal rausgehauen wurden. Und: eine größere Verfügbarkeit und Werbung führt zu einer vermehrten Teilnahme am Glücksspiel und somit auch zu mehr Menschen, die ein problematisches Glücksspielverhalten zeigen. Den Jugend- und Spielendenschutz aufrecht zu erhalten ist hier enorm wichtig: Abstand von Kinder- und Jugendeinrichtungen, Erkennen von problematischem Glücksspielverhalten, Bewerbung von und Vermittlung in Suchtberatungsstellen.


Welche Schutzmöglichkeiten gibt es denn überhaupt im Internet?

Inzwischen gibt es eine spielformübergreifende Sperrmöglichkeit namens OASIS. Wenn man sich dort sperren lässt, kann man, für einen bestimmen Zeitraum oder unbegrenzt, an keinem legalen Glücksspiel mehr teilnehmen.


Wo macht man das?

Beim Regierungspräsidium Darmstadt. Eine solche Selbstschutzmaßnahme gab es schon immer bei Spielhallen, wo man ja seinen Personalausweis zeigen muss, und wenn man gesperrt ist oder unter 18, kommt man nicht rein. So etwas ähnliches gibt es nun eben auch für Sportwetten und Online-Angebote. Allerdings ist das im Internet eigentlich nur eine psychologische Krücke, denn wenn ich unbedingt spielen will, kann ich das immer. Erstens gibt es auch Angebote, die nicht von OASIS abgedeckt sind, oder man findet einen anderen Weg, um die Sperre zu umgehen. Es wurde auch eine Whitelist eingeführt von Anbietern, die sich an alle Gesetze halten, oder man kann sich selbst ein Limit im Monat setzen und dann nicht mehr ausgeben als das. Aber wenn jemand wirklich Spaß am Zocken hat und schon im riskanten Bereich ist, nützt das alles nicht viel. Es sind Möglichkeiten für Menschen, die schon ein Problembewusstsein haben.


Der bessere Weg ist also doch Aufklärung, Prävention, frühzeitige Information?

Genau, gezielt zu beraten und zu versuchen, gefährdete Personen vor Schaden zu bewahren. Unser Fachdienst „Frühintervention beim Glücksspiel“ ist offen für alle Jugendlichen, die in Frankfurt leben oder zur Schule gehen oder arbeiten. Sie können sich gerne hier melden und einfach eine neutrale Einschätzung holen: Bin ich denn jetzt schon Glücksspiel abhängig oder wie sieht es eigentlich aus? Wir unterliegen der Schweigepflicht, die Beratung ist kostenfrei und man weiß danach Bescheid, woran man ist:

Evangelische Suchtberatung
suchtberatung@frankfurt-evangelisch.de
Telefon 069 5302-302
www.evangelische-beratung.com/sucht


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Autorin

Antje Schrupp 227 Artikel

Dr. Antje Schrupp ist Chefredakteurin des EFO-Magazins. Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin bloggt auch unter www.antjeschrupp.com Mastodon: @antjeschrupp@kirche.social

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