Leben & Alltag

Reden und Rituale gegen die Trauer

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Der Tod ist etwas Unbegreifliches. Jeder Mensch reagiert anders auf den Verlust eines
geliebten Menschen. Die meisten finden nach rund sechs Monaten wieder ins Leben zurück,
für manche endet die Trauer aber nie. Von Julia Hercka.

Wie lange Trauer anhält, ist ganz unterschiedlich. | Foto: Sandy Millar/unsplash.com
Wie lange Trauer anhält, ist ganz unterschiedlich. | Foto: Sandy Millar/unsplash.com

Davids Mutter war schwer krank. Sie verstarb wenige Tage nach seiner Geburt, an einem kalten Silvestertag. Sein Vater und seine Oma zogen David gemeinsam groß. Die Großmutter lebt mittlerweile in einem Pflegeheim. Doch obwohl sie an einer fortschreitenden Demenz leidet, beobachtet David, inzwischen Ende 20, dass sie in der Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr immer ein wenig trauriger ist als sonst. Der Verlust der einzigen Tochter scheint sie noch Jahrzehnte später tief zu treffen.

„Es ist schwer zu sagen, wie lange Trauer dauert“, sagt die evangelische Seelsorgerin Nirmala Peters. Sie begleitet Sterbende und ihre Angehörigen in einem Hospiz. Früher habe man oft von einem Trauerjahr gesprochen, das sei ein möglicher Richtwert. „Für manche dauert Trauer auch mehrere Jahre und manche Trauer endet auch nie“, sagt sie. Einige Angehörige empfänden besonders Jahrestage, Geburtstage oder auch Weihnachten als schmerzhaft. Trauer sei ein gesunder, seelischer Prozess, sagt Peters. Durch die Trauer fänden Menschen nach einem Verlust wieder zurück ins Leben. Es sei wichtig, dass Trauer einfach da sein dürfe, egal wie sie aussehe. Jeder Mensch trauere anders.

Das bestätigt auch Octavia Harrison. Sie forscht am Zentrum für Psychotherapie der Frankfurter Goethe-Universität zu langanhaltender Trauer. „Am Anfang ist es ganz normal, dass man es nicht akzeptieren kann, dass jemand verstorben ist, dass man die Person arg vermisst“, sagt Harrison. In den meisten Trauerfällen schwäche sich dieser Zustand etwa nach einem halben Jahr
ab. Es gebe zwar auch dann immer noch einzelne Momente der Trauer, erklärt Harrison, aber man könne besser damit umgehen.

Bei anhaltender Trauer hingegen haben Hinterbliebene auch über ein halbes Jahr nach dem Tod mindestens einmal am Tag starke Sehnsucht nach der verstorbenen Person oder empfinden den Verlust als besonders schmerzhaft, wie Harrison erläutert. Viele fühlten sich emotional taub oder verlören ihren Zugang zu ihren Gefühlen. „Andere haben Probleme, wieder soziale Kontakte aufzunehmen oder angenehmen Aktivitäten nachzugehen.“ Dies gleiche einer Depression, so dass es gelegentlich zu einer Doppeldiagnose komme.

In einer Studie untersucht Harrison Behandlungsmöglichkeiten von langanhaltender Trauer. Einige der Patient*innen, die sich für die Studie gemeldet haben, seien bereits in einer psychologischen Behandlung, seien damit aber nicht zufrieden. Das Problem sei, dass viele niedergelassene Therapeut*innen beim Thema Trauer eine klassische antidepressive Therapie verordneten, erklärt
Harrison. Diese sei zwar bei Depressionssymptomen wirksam, aber nicht spezifisch genug für Trauer.

Die Studie solle dazu beitragen, allgemeine Handlungsempfehlungen zum Umgang mit anhaltender Trauer zu entwickeln. Doch auch der Umgang mit „gesunder“ Trauer sei oft nicht einfach. „Ich habe das Gefühl, dass das Umfeld von Trauernden oft nicht weiß, wie es reagieren soll“, sagt Harrison. Sie rät Betroffenen daher, sich mit Menschen zu umgeben, die bereits in anderen Situationen für einen da waren und mit ihnen über die verstorbene Person zu sprechen.

Trauernde sollten sich keinen Druck machen und sich die Zeit geben, die sie brauchten, betont Harrison. Es sei schade, dass manche Hinterbliebene ihre Trauer abstreiten. Mit Sorge betrachte sie außerdem, dass manche Betroffene vor einer Beerdigung starke Beruhigungsmittel nehmen. „Davon würde ich abraten.“ Seelsorgerin Peters weiß, dass Rituale oft als hilfreich wahrgenommen werden. Man könne beispielsweise den Einkauf erledigen oder dem Trauernden anbieten, gemeinsam das Grab zu besuchen. Falle es Freund*innen von Trauernden schwer fällt, den Tod anzusprechen, könne es helfen, die eigene Sprachlosigkeit einzugestehen.

Vor vier Jahren ist auch Davids Vater gestorben. Er hatte eine Chemotherapie abgebrochen. Der Tod sei erwartbarer gewesen als bei seiner Mutter, erinnert sich David. Wenige Wochen zuvor war er wieder zum Vater gezogen. Es sei schön gewesen, sich richtig verabschieden zu können, sagt er. David besucht das Grab seiner Eltern regelmäßig, meist an deren Geburtstagen. Traurig sei er nicht. „Mir geht es sehr gut und ich habe ein schönes Leben.“ Man müsse sich bewusstmachen, dass es auch nach einem Verlust weitergehe. Dass er glücklich ist, wäre auch seinen Eltern wichtig gewesen, sagt David.


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