Leben & Alltag

Sterben: Anders als er denkt

Susanne Pásztors Roman "Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster" ist mit dem evangelischen Buchpreis 2018 ausgezeichnet worden. Zu Recht.

Susan Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster. Kiepenheuer & Witsch. 288 Seiten, 20 Euro.
Susan Pásztor: Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster. Kiepenheuer & Witsch. 288 Seiten, 20 Euro.

Zuerst fragt man sich beim Lesen, wer die Sterbebegleitung mehr braucht: Der Mann vom Hospizverein oder die 60-jährige Frau, die ihn angefordert hat. Fred ist Mitte 40, geschieden und arbeitet in einer Verwaltung. Mit einer Ausbildung zur Sterbebegleitung möchte der eher lebensängstliche Mann seinem Leben mehr Sinn geben. 

Karla, die erste Sterbende, die er besucht, ist dagegen cool, schroff und eigensinnig, ihrer unheilbaren Erkrankung an Bauchspeicheldrüsenkrebs zum Trotz. Als Fotografin hat sie legendäre Rockbands begleitet und läuft in ihrer Wohnung grundsätzlich nur barfuß. 

Es dauert eine Weile, bis Fred nicht mehr seine eigenen Vorstellungen von einer richtigen Begleitung umsetzen möchte, sondern auf Karlas Bedürfnisse eingehen kann. Zur unerwarteten Hilfe wird sein 13-jähriger Sohn Phil, der sich bereit erklärt, Karlas Fotos zu digitalisieren. Alle scheinen an ihren Aufgaben zu wachsen, bis Fred sein Gutmenschentum übertreibt, in dem er ungefragt Karlas Schwester zu Weihnachten einlädt. Sie ist stinksauer und will ihn erst einmal nicht mehr sehen.

Spannend ist  nicht nur, was in diesem Roman erzählt wird, sondern vor allem wie. Autorin Susann Pásztor ist  nah an den Gefühlen der Menschen, die sie darstellt. Dabei steht die Perspektive der Begleiter, Fred und Phil, mehr im Vordergrund als die der Sterbenden.

Pásztor, die selbst zur Sterbebegleiterin ausgebildet ist, beschreibt Verlegenheit und Rührung, Wut und Freude sowie viele Zwischentöne so unmittelbar, dass man beim Lesen das Gefühl hat, dabei zu sein. Dabei ist ihr Ton nie weinerlich, sondern es gelingt ihr auch noch, witzig zu sein. 

Deutlich Partei ergreift die Autorin am Schluss, als ihre sterbende Protagonistin sich entschließt, das Sterben zu verkürzen, indem sie aufhört zu essen und zu trinken. Es heißt: "Karla starb nicht, weil sie aufhörte zu trinken. Sie hatte aufgehört zu trinken, weil sie sie starb."

Pásztors Roman ist nicht nur ein sehr dichter, literarisch gelungener Roman über Sterben und Leben, sondern auch ein Plädoyer für humanes Sterben. Er hat den evangelischen Buchpreis 2018 verdient.  

 


Autorin

Stephanie von Selchow ist Redakteurin des EFO-Magazins.

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