Leben & Alltag

Trotz Lockdown: Kinder aus belasteten Familien schützen

Das gesellschaftliche Herunterfahren wegen Corona hat für Kinder in belasteten Familiensituationen besonders gravierende Auswirkungen. Denn für sie sind Schule und Kita wichtige Schutzfaktoren, sagt Manuela Hilbert-Wilhelm, Leiterin der Fachstelle „Ambulante Jugendhilfe“ des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach. Deshalb sollten wir in den nächsten Wochen von den Erfahrungen im Frühjahr lernen.

Foto: Caleb Woods / Unsplash
Foto: Caleb Woods / Unsplash

Wenn Schulen, Kindertagesstätten und Jugendhilfe-Einrichtungen wegen Corona schließen, hat das für alle Familien Auswirkungen. Aber für Familien, in denen Kinder nicht gut versorgt sind – zum Beispiel, weil Elternteile oder auch die Kinder psychisch erkrankt oder suchtabhängig sind – ist es besonders schwierig. Wenn der Alltag mit klaren Strukturen verloren geht, können Konflikte schneller eskalieren. Manche Eltern werden dann auch gegenüber Kindern und Partner:innen gewalttätig, sei es körperlich oder psychisch. Tatsächlich sei es im Frühjahr zu vermehrten Kindeswohlgefährdungen und häuslichen Konflikten gekommen, sagt Manuela Hilbert-Wilhelm, Leiterin der Fachstelle „Ambulante Jugendhilfe“ des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt und Offenbach. „Wir haben deshalb in Absprache mit dem Jugendamt unser Stundenkontingent erhöht", etwa in der die sozialpädagogischen Einzelfall- und Familienhilfe und beim Erziehungsbeistand.

Hilbert-Wilhelm hofft, dass in den kommenden Monaten nicht die Fehler vom Frühjahr wiederholt und unterschiedslos alle Angebote geschlossen werden. Wenn Kinder, deren Wohl ohnehin schon gefährdet ist (und für die das Jugendamt deshalb Hilfen zur Erziehung angeordnet hat), den ganzen Tag zuhause bleiben, führt das schnell zu problematischen Situationen. „Wir konnten beobachten, dass Eltern bis in den Mittag schliefen, während die Kinder schon früh wach waren und sich im Rahmen ihrer Möglichkeit selbst versorgten“, sagt Hilbert-Wilhelm. „Oder dass Kinder sehr, sehr lange wach blieben und infolgedessen den Tag verschliefen.“

Gleichzeitig fielen die gewohnten Ansprechpartner:innen der Kinder in Schule, Betreuung, Hort und Kindergarten weg. Viele waren im Alltag nicht mehr versorgt, weil sie kein Frühstück in der Einrichtung und kein warmes Mittagsessen mehr bekamen, von Hausaufgabenbetreuung ganz zu schweigen. Niemand außerhalb der Familie konnte mehr merken, wie es einem Kind ging, ob es gesund war und gut versorgt mit allem, was es zur Entwicklung braucht. Selbst Spielplätze waren im Frühjahr geschlossen und damit die Möglichkeit für Kinder, nach draußen zu gehen, Freund:innen zu treffen und zu spielen.

Betroffen waren aber nicht nur Kinder mit Armutserfahrungen und aus sozial schwierigen Verhältnissen, sondern auch Mädchen und Jungen aus der wohlhabenden Bildungsbürgerschicht, wie Manuela Hilbert-Wilhelm betont. Ein hoher Bildungsdruck verführe manche Eltern dazu, ihre Kinder mit Zwang, Demütigung und Bestrafung zum Lernen zu zwingen. Verschärft werde das durch ein von der Schule gefordertes Homeschooling und die Doppelbelastung aus Homeoffice und Familienarbeit.

Was noch hinzu kommt: Die Corona-Epidemie als bedrohliche Krankheit macht vielen Erwachsenen und Kindern auch Angst. „Mitunter haben sich psychische Erkrankungen, die mit Ängsten und Depressionen einhergehen, verstärkt“, berichtet Hilbert-Wilhelm. Manche Familien seien wegen der Ansteckungsgefahr gar nicht mehr aus dem Haus gegangen. Wer schon vorher lieber soziale Kontakte vermieden habe, sei darin durch den Wegfall aller Angebote bestärkt worden, soziale Isolation war die Folge. Wieder andere Familien seien durch Kurzarbeit oder Verlust von Jobs in große finanzielle Nöte geraten. Auch das habe Kinder geängstigt und für vermehrte Konflikte in Familien gesorgt.

Die Mitarbeiter:innen der ambulanten Jugendhilfen haben auf diese Probleme reagiert: „Wir haben in vielen Familien zunächst Alltagsstrukturen und Tagespläne erarbeitet“, erklärt Hilbert-Wilhelm. Schon kleine Veränderungen würden helfen. Zum Beispiel könne man sich für jeden Tag eine feste Aufgabe vornehmen wie einen Spaziergang zu machen oder ein anderes Highlight zu setzen. Die Eltern seien angeleitet worden, gemeinsame Mahlzeiten einzuführen, Einkaufszeiten festzulegen und sich Zeit zu nehmen für Spielzeiten mit den Kindern. Sobald es wieder möglich war, wurden die Kinder und Jugendliche in die Räume der ambulanten Jugendhilfen eingeladen, damit sie auch Zeit außerhalb der Familie verbringen konnten. Wichtig sei es außerdem gewesen, an den Streitthemen in der Familie zu arbeiten und ihnen Wege zur friedlichen Konfliktregelung zu zeigen.

In Krisen-und Notsituationen ist das Kinder- und Jugendschutztelefon in Frankfurt jederzeit, auch nachts, am Wochenende oder an Feiertagen, zu erreichen: Telefon 0800 20 10 11 1.


Autorin

Anne Rose Dostalek ist freie Journalistin und lebt in Frankfurt am Main.

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