Leben & Alltag

Warum heiraten? Eine Pfarrerin und eine Modedesignerin im Gespräch

Ist die Ehe ein Relikt aus vergangenen Zeiten, als Frauen noch „unter die Haube“ gebracht werden
mussten? Nein, sagen Carolin Cirillo und Saskia Awad. Beide haben aus beruflichen Gründen mit
Heiratswilligen zu tun – die eine als Modeschneiderin, die andere als Pfarrerin.

Mode für einen besonderen Tag: Die Fotos für diese Reportage entstanden im Atelier von Carolin Cirillo. | Foto: Rui Camilo
Mode für einen besonderen Tag: Die Fotos für diese Reportage entstanden im Atelier von Carolin Cirillo. | Foto: Rui Camilo

Frau Cirillo, Frau Awad, warum wird heute geheiratet?

Carolin Cirillo: Wir leben in einer sich schnell wandelnden Zeit. Die Taktung ist hoch, Entscheidungen werden zunehmend als beliebig wahrgenommen. Ich habe den Eindruck, dass viele Menschen einen großen Wunsch nach Beständigkeit, vielleicht auch nach Sicherheit haben. Die Idealvorstellung der Einheit „Familie“ gewinnt an Zustimmung. Ein Indiz dafür ist der Boom von Datingplattformen. Ein Paar zu sein ist offensichtlich ein erstrebenswerter Zustand. Auch, weil die Paarbeziehung noch immer als gesellschaftliche Norm sitzt.


Wenn der Ehe eine besondere partnerschaftliche Qualität unterstellt wird, diskriminiert das nicht andere Lebens- und Familienformen?

Cirillo: Sicher sind gesellschaftliche Normvorstellungen im Hinblick auf Diskriminierung immer kritisch zu sehen. Aus meiner Sicht haben alle Lebens- und Familienformen ihre Daseinsberechtigung. Welcher Umstand jemanden glücklich macht, ist höchst individuell.

Awad: Ich würde gerne noch mal den Punkt aufgreifen, dass es den Wunsch nach Beständigkeit gibt. Es gibt Menschen, die die Sehnsucht nach einer dauerhaften, stabilen und verlässlichen Beziehung haben. Und genau dafür steht die Ehe. Für eine Art Verbindlichkeit. Andererseits gibt es viele unterschiedliche Lebensmodelle. Glücklicherweise leben wir in einer Zeit, in der jede und jeder selbst entscheiden kann, was ihn oder sie glücklich macht. Heiraten ist kein Muss.


Laut Statistik steigt der Anteil an Singlehaushalten stetig an. Stimmt das Ideal vom glücklichen Paar denn überhaupt?

Cirillo: In einer bewussten Entscheidung zum Singledasein kann ich nichts Negatives sehen. Dass ein zunehmender Teil unserer Gesellschaft allein lebt, lässt sich sicherlich auf die Individualisierung zurückführen. Eine Erklärung könnte auch sein, dass es heute schwerer fällt, sich auf jemanden wirklich einzulassen. Wir sind umgeben von toxischer Positivität und der Illusion perfekter Körper, da mag es für manche unvorstellbar sein, die eigene Unvollkommenheit preiszugeben. Und eine Lebenspartnerschaft oder Ehe bringt das ja mit sich.

Awad: Entscheiden sich Paare für eine kirchliche Trauung, dann ist das deren Eingeständnis, nicht perfekt sein zu müssen. Dass ein Paar vor Gott tritt und um Gottes Segen bittet, ist ein Bekenntnis der Liebe und der Beziehung zueinander. Und dazu, dass diese Liebe ein Geschenk ist und durchaus zerbrechlich. Die kirchliche Trauung ist sozusagen eine Chance, den Erwartungsdruck einer perfekten Ehe zu nehmen.


Aber auch die Zahl der kirchlichen Trauungen nimmt ab. Warum?

Awad: Das hat mit den allgemeinen Entwicklungen wie dem Mitgliederrückgang und einer nachlassenden Verbundenheit mit der Kirche zu tun.

Cirillo: Bei meinen Kundinnen beobachte ich einen Trend zu freien Trauungen. Sie stehen durchaus mit der Kirche im Konflikt, die Kirche hat ein enormes Imageproblem. Dennoch suchen viele Brautpaare nach einem Akt, der der Eheschließung eine tiefere Bedeutung verleiht, nach einer Art zeremoniellem Segen. Trauredner:innen sind sehr gefragt.

Saskia Awad (links) und Carolin Cirillo (Mitte) im Gespräch mit EFO-Redakteurin Angela Wolf. | Foto: Rui Camilo
Saskia Awad (links) und Carolin Cirillo (Mitte) im Gespräch mit EFO-Redakteurin Angela Wolf. | Foto: Rui Camilo


Traditionell ist die Ehe patriarchal angelegt, der Mann war lange das Oberhaupt. Tut die Kirche etwas für die Gleichberechtigung in der Ehe? Kann Brautmodedesign für solche Themen sensibilisieren?

Cirillo: Bei einer Anprobe geht es weniger um gesellschaftliche oder ökonomische Themen. Darüber kommt man nur hin und wieder mal ins Gespräch. Aber ich versuche mit meinen Möglichkeiten, nämlich dem Brautkleid, ein Statement für die Frau zu setzten. Freiheit schenkende Schnitte, die Bestärkung darin, nur die eigenen Wünsche und Vorstellungen des Brautkleides umzusetzen. Ich möchte den Frauen Mut machen und sie in ihrem Gefühl bestärken, ihre Einzigartigkeit und damit Besonderheit zu entdecken. Darin sehe ich meine Aufgabe und das ist in diesem Fall meine Rolle. Allgemein erkenne ich im Hochzeitsbusiness aber definitiv tradierte Rollenmuster. Bei heterosexuellen Cis-Paaren organisiert in den allermeisten Fällen die Frau die Hochzeitsfeier. Sie übernimmt also auch bei diesem Thema im weitesten Sinne die Care-Arbeit.

Awad: Für eine kirchliche Trauung ist nicht charakteristisch, dass sie patriarchalen Strukturen folgt. Das zu trauende Paar tritt völlig gleichberechtigt vor den Altar, also vor Gott, und bekommt den Segen zugesprochen. Spannenderweise werden von den Paaren selbst oft alte und durchaus zu hinterfragende Traditionen gewünscht. Zum Beispiel die Übergabe der Braut an den Bräutigam durch ihren Vater. In den Traugesprächen kläre ich das Paar darüber auf, woher diese Traditionen stammen und welchen Hintergrund und welche Bedeutung sie haben oder hatten.


Sind die Erwartungen an eine Hochzeit überhöht und wird die Ehe idealisiert und romantisiert?

Awad: Als Pfarrerin thematisiere ich in der Trauansprache, dass eine Ehe viel Arbeit ist. Als Paar bleibt man nicht am Tag der Heirat stehen. Ganz im Gegenteil, es entwickelt sich jeder für sich weiter. Das Ehepaar muss sich ständig aufeinander einlassen und immer wieder einen gemeinsamen Weg ausloten. Es geht nicht um eine naive Romantik. Es geht um das wahre Leben. Die perfekte Ehe ist ein Wunschdenken. Bei der Trauung bitten wir darum, dass Gott dem Paar die Kraft gibt, auch schwierige Zeiten gemeinsam zu stemmen.

Cirillo: Ich möchte es nicht so negativ ausdrücken. Die Trauung, das Fest: Die Hochzeit ist doch sicherlich der Tag im Leben des Paares, an den sie sich gerne zurückerinnern möchten. Das Ausmaß von Organisation und Perfektion ist so unterschiedlich wie die Paare selbst. Bei Terminen in meinem Atelier spreche ich häufig mit den Bräuten darüber, was der wesentliche Grund für die Trauung ist. Die meisten sagen: das öffentliche Bekenntnis zueinander.


Gibt es bei der Brautmode Trends?

Cirilllo: Sicher. Trends gibt es in der Hochzeitsmode genau wie in der Alltagsbekleidung auch. Schleier, Schleppen, Strass. Dem möchte ich versuchen, zu entkommen. Einzelanfertigungen können auf jede Frau, auf jeden Körper ganz individuell zugeschnitten werden. Soll das Kleid locker sitzen oder lieber eng anliegen? Gibt es den Wunsch, das Stück auch nach der Trauung weiter zu tragen? Der Slow-Fashion-Gedanke spielt für mich eine große Rolle. Ich setzte auf zeitlose Materialien und Schnitte.


Gab es schon mal eine Anfrage, die Sie abgelehnt haben?

Cirillo: Ja, in der Tat. Die Interessentin fragte nach einem Kleid im Steampunk-Stil. Das wäre bestimmt eine besondere Herausforderung gewesen. Ich hatte aber keine Ideen, wie ich das umsetzen sollte.


Was bedeuten Heirat und Ehe für Sie beide persönlich?

Cirillo: Ehe bedeutet für mich, der Liebe zueinander einen Rahmen, vielleicht auch eine Art Verbindlichkeit zu geben und dieses Ereignis in Form der Trauung mit unseren liebsten Menschen gemeinsam zu feiern.

Awad: Den Schritt der Trauung zu gehen ist für mich das Bekenntnis dafür, dass diese Liebe, diese Beziehung nicht beliebig ist.

Carolin Cirillo und Saskia Awad  |  Foto: Rui Camilo
Carolin Cirillo und Saskia Awad | Foto: Rui Camilo


Carolin Cirillo ist ausgebildete Modeschneiderin und Bekleidungstechnikerin. Sie betreibt ihr eigenes kleines Atelier, in dem sie Brautmode entwirft und anfertigt. Die 41-Jährige ist Mutter eines Kindes und lebt mit ihrer Familie in Aschaffenburg. Auch ihr eigenes Brautkleid hat sie selbst geschneidert.

Saskia Awad ist Pfarrerin der Lukas- und Matthäusgemeinde in Offenbach und mit 30 Jahren eine der jüngsten Vertreterinnen ihres Berufes im Rhein-Main-Gebiet. Gemeinsam mit ihrem Mann lebt die gebürtige Langenerin im Pfarrhaus in Tempelsee. Getraut hat sie im vergangenen halben Jahr zwei Paare.


Autorin

Angela Wolf 117 Artikel

Angela Wolf ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. Sie wurde 1978 in Aschaffenburg geboren. Heute lebt sie in Frankfurt am Main, wo sie Soziologie, Politikwissenschaften und Psychoanalyse studierte.

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