Wenn ohne Handy nichts mehr geht
Ich bin weder alt noch jung, sondern dazwischen: analog und ohne Smartphone volljährig geworden, aber als Jung-Erwachsene dann mit Errungenschaften wie Onlinebanking und 160-Zeichen-SMS digital sozialisiert. Natürlich bin ich auf Instagram, ich nutze seit 20 Jahren Online-Banking und habe keinen Drucker mehr zuhause. Manchmal rufe ich meine Kinder sogar per WhatsApp zum Abendessen. Gebt mir eine App, und ich bin glücklich.
Na ja, fast immer. Denn: Auch ich komme langsam an meine digitalen Grenzen. Neulich traf ich mich mit einer Freundin in einem tibetischen Restaurant in Frankfurt-Bornheim. Ich war zuerst da und dachte, ich könnte ja schon mal die Speisekarte checken. Allein, es gab keine. Stattdessen prangte auf einem Tisch-Aufsteller ein QR-Code. Und was eigentlich nie geschieht, war an diesem Abend geschehen: Ich hatte mein Handy vergessen. Mein Magen knurrte.
Ich bin eine große Kulturoptimistin und fand es früher meistens peinlich, wenn ältere Menschen moserten, dass sie „mit diesem Internet“ nicht klarkamen. Oder dass sie alles auf Papier ausdruckten. Ich finde das meiste praktisch, was sich heute online erledigen lässt: Arzttermine buchen, Ferienwohnungen reservieren, Rechnungen bezahlen, alte Freunde wiederfinden, unterwegs schnell ein Busticket kaufen, ohne diese unhygienischen Fahrscheinautomaten anfassen zu müssen. Bargeld habe ich selten dabei, Münzen und Scheine sind ja auch, wenn man es mal so bedenkt, virologisch nicht ganz unbedenklich, da ist mir meine Kreditkarte lieber. Aber selbst die Plastik-Karten verschwinden, wie jüngst etwa die Bahncard. Hilfe!
Wo hört die Digitalisierung auf, uns wirklich weiterzuhelfen? Darf es sein, dass ohne Smartphone nichts mehr geht, vom Lebensmitteleinkauf bis zum Bahnfahren, vom Arztbesuch bis zum Lesen des Schulvertretungsplans der Kinder? In Hamburg, in Schweinfurt und womöglich bald weiteren Städten werden in Bussen keine Fahrscheine mehr verkauft. Was bedeutet das für jene, die mit den Apps nicht zurechtkommen oder gar kein Smartphone haben? Immerhin sind das in Deutschland mehrere Millionen Menschen. Es wird zu viel: Darf man so was sagen, muss man nicht sogar?
„Ich weiß, dass mir kein Orden verliehen wird, wenn ich mich beharrlich den QR-Codes und Passwörtern versperre, denn so konservativ, ja rückschrittlich, wollte ich doch nie sein“, schreibt der Frankfurter Satiriker Mark-Stefan Tietze: „Immerhin hatte ich den Übergang von Schallplattenspieler und Kassettenrecorder zum CD-Gerät, zu MP3 und zu Spotify bewältigt, hatte brav den Sprung von Kino zu Netflix mitgemacht. Gewiss würden die Großnichten meiner Nichten nicht stolz sagen: ‚Einer meiner Vorfahren war im Widerstand und hat zeitlebens kein Onlinebanking gemacht!’” Es bleibt eine Gratwanderung, und als uncool und altertümlich will man ja auch nicht gelten, nicht mit Mitte 40 und nicht mit 70.
Trotzdem ist es nicht zu leugnen: Der App-Zwang bedeutet fast immer, dass Nutzer:innen die Dienste von Google oder Apple verwenden müssen. Es gibt kaum Anbieter, die ihre Apps außerhalb der App-Stores der beiden Platzhirsche anbieten. Wer die App einer Krankenkasse installiert oder vielleicht eine Gesundheitsapp, die bei der Behandlung einer bestimmten Krankheit unterstützen soll, oder auch nur die App eines regionalen Mobilitätsdienstleisters, verrät Google beziehungsweise Apple eine Menge über sich selbst.
Das Thema Datenschutz ist ein gewichtiges. Der langjährige SZ-Redakteur Heribert Prantl forderte im vergangenen Jahr daher, ein „Recht auf analoges Leben“ im Grundgesetz festzuhalten. Es gibt sogar schon einzelne Fälle, in denen Betroffene oder Verbände gegen verschiedene Varianten des Digitalzwangs geklagt haben – mit unterschiedlichen Ausgängen. Erfolg hatte der Verbraucherzentrale Bundesverband mit einer Klage gegen den Stromanbieter Lichtblick. Der hatte Verträge angeboten, wonach die Kommunikation zwischen Verbraucher:in und Unternehmen ausschließlich elektronisch erfolgt.
Es ist gar nicht so leicht, zu sagen, welche Menschen es sind, die im digitalen Funkloch stecken. Für Geflüchtete zum Beispiel ist ein Smartphone unendlich wichtig; fast alle haben eins. Menschen mit Behinderungen profitieren von digitalen Möglichkeiten, weil sie ein Stück Barrierefreiheit bieten, die meisten gelten als digital aufgeschlossen. Auch viele Obdachlose nutzten Smartphones, sagt Diakoniesprecherin Susanne Schmidt-Lüer, sie seien dringend auf die Geräte angewiesen.
In der Regel sind heute auch ältere Menschen digital fit, aber eben nicht alle und manchmal nur bis zu einem gewissen Punkt. Wenn in der Hausarzt-Praxis niemand mehr ans Telefon geht, ist das ein Problem. Verschlimmert wird es durch den allgemeinen Kostendruck, denn digitale Buchungssysteme sind billiger als zusätzliches Personal.
Vermutlich werden wir hybride Modelle fördern müssen, die Menschen jeden Alters schrittweise an digitale Technologien heranführen. Mit Übergangsfristen, die früh kommuniziert werden, und den Umstieg psychologisch erleichtern. Dann haben alle Zeit, sich mit der Technik vertraut zu machen oder ein Netz von hilfreichen Mitmenschen aufzubauen. Vielleicht wäre „Digitalhelferin“ ein schönes Ehrenamt? Oder ein staatliches Übergangsgeld für Arztpraxen, um zumindest zu bestimmten Zeiten in der Woche ein Telefon besetzt zu halten?
Ach ja, und Smartphones lassen sich nicht nur zu Hause vergessen, man kann sie auch weglegen. Wir können einander treffen, Sport treiben, Schach spielen oder lesen. Man könnte miteinander reden, ganz altmodisch. Ich habe meiner Tochter den Vorschlag gemacht, über WhatsApp. Es kam ein Herz zurück. Ein digitales, aber immerhin.
Mehr zum Thema: Interview mit der Netzpolitik-Expertin Anne Roth
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