„Digitalisierung ist oft einfach schlecht gemacht“
Frau Roth, die Forderung nach einem analogen Leben wirkt überraschend, irgendwie aus der Zeit gefallen. Ist eine fortschreitende Digitalisierung nicht vorteilhaft und erleichternd im Alltag? Gibt es da einen blinden Fleck – Nachteile, die übersehen werden?
Digitalisierung kann enorm hilfreich sein, wenn sie gut und sicher umgesetzt wird. Aber leider ist das viel zu oft nicht der Fall. Wenn wir in unserem direkten Umfeld nachfragen, bei den Großeltern beispielsweise, wie gut sie etwa mit Onlinebanking zurechtkommen, dann ist plötzlich klar, dass viele das einfach nicht gut finden, richtige Probleme, aber auch Ängste im Umgang damit haben. Ein sehr prominentes und aktuelles Beispiel ist die Bahncard der Deutschen Bahn, die seit vorigem Jahr nur noch digital zur Verfügung steht. Einige Inhaber:innen der Karte sind damit nicht einverstanden. Sie möchten weiterhin die Plastikkarte nutzen und bei Fragen oder Problemen einen Service-Schalter aufsuchen können. Mit der Umstellung auf die digitale Karte werden sie aber gezwungen, die App der Deutschen Bahn zu nutzen. Wenn dazu allerdings der Zugang fehlt, ungewollt oder gewollt, ist das ein Nachteil.
Es ist aber doch Teil der digitalen Transformation, dass Nutzerinnen und Nutzer Schritt für Schritt von analogen Angeboten in digitale überführt werden, oder?
Unbedingt. Dennoch muss es ein Recht auf ein analoges Leben geben, solange nicht alle befähigt sind, an der Digitalisierung teilzuhaben. Es ist beides nötig. Sowohl das Recht auf digitale Teilhabe als auch das Recht auf ein analoges Leben. Es wird bei allem Fortschritt immer Menschen geben, die sich der Digitalisierung verweigern. Manche ganz bewusst, zum Beispiel weil sie sich Sorgen um die Datensicherheit machen, und es gibt ja genug Beispiele, warum das begründet ist. Andere, weil sie damit nicht zurechtkommen. Behörden müssen meiner Ansicht nach Personal bereitstellen für diejenigen, die ausschließlich analog unterwegs sind, um diesen Menschen bei Anträgen und Ähnlichem unter die Arme zu greifen.
Ist es aber nicht auch eine Frage der Medienbildung?
Angebote für Medienbildung werden für alle Altersgruppen dringend gebraucht. Solange sich die Digitalisierung in diesem Tempo entwickelt, die Gesellschaft so massiv umgekrempelt wird, ist unverzichtbar, dass allen dabei geholfen wird. Und dabei geht es nicht nur darum, wie ich eine App herunterlade oder meine E-Mails abrufe. Wir alle müssen viel besser verstehen, was im Hintergrund passiert, was eine Zwei-Faktor-Authentifizierung bedeutet und was passiert, wenn ich meinen Standort auf meinem Smartphone freigebe. Was mit meinen Daten passiert und wie ich einem Betrug aufsitzen kann. Oder was Algorithmen sind und wie sie unser Verhalten beeinflussen können. Es geht darum, alle Nutzerinnen und Nutzer fit und routiniert in die digitale Welt zu schicken.
Sind denn tatsächlich alle bereit, sich dieses Wissen anzueignen?
Die derzeitige Haltung ist ja, zu verlangen, dass alle mitkommen müssen. Das hat wenig mit positiver Pädagogik zu tun und setzt kaum motivierende Anreize. Menschen lernen gern, wenn es ihnen Spaß macht und die Dinge gut erklärt werden. Aber daran fehlt es derzeit meistens. Außerdem ist Digitalisierung, wie sie in Deutschland umgesetzt wird, oft einfach schlecht gemacht. Wenn Sie beispielsweise drei unterschiedliche Konten bei drei unterschiedlichen Banken führen, brauchen Sie drei verschiedene Onlinebanking-Apps, von denen jede anders funktioniert. Es bräuchte einheitliche Oberflächen, die sich intuitiv bedienen lassen, und bei denen uns klar ist, was wir gerade tun und warum. Stattdessen werden wir darauf trainiert, einfach immer auf „Weiter“ zu klicken, ohne darüber nachzudenken, was wir eigentlich tun. Gleichzeitig werden wir an jeder Ecke davor gewarnt, Hacker:innen zum Opfer zu fallen, und ja nicht falsch zu klicken – aber woher sollen die Menschen denn wissen, was falsch und was richtig ist? Erst wird den Nutzer:innen die Kompetenz genommen und dann werden sie vollumfänglich für jedes Fehlverhalten verantwortlich gemacht. Wenn Menschen dann die Motivation verlieren und sich komplett verweigern, ist das kein Wunder.
Was also tun?
Wenn wir uns als Gesellschaft auf den Weg in eine digitale Transformation begeben, sind wir verpflichtet, alle auf diesem Weg mitzunehmen. Das bedeutet, niedrigschwellige Angebote zur Medienbildung zu machen. Im Nachbarschaftsbüro, im Bürgeramt, bei der Diakonie. Tun wir das nicht, lassen wir einen Teil zurück. Und das können wir uns nicht leisten.
1 Kommentar
So ist es. Und die Beschränkung medienpädagogischer Konzepte auf Digitalisierungsfragen ist eine reduktionistische Sackgasse. Wir brauchen ein umfassendes Schulfach Medienbildung - und dafür gibt es Ansätze, die u.a. am 28.3. in Berlin diskutiert werden. https://medienverantwortung.de/2025/03/12/imv-jubilaeumskonferenz-am-28-3-programm