Politik & Welt

Gemüse wächst auch in der Stadt: Urban Farming für eine Agrarwende von unten

Schweres Arbeitsgerät, Pestizide, lange Transportwege: Konventionelle Landwirtschaft verursacht viele Probleme. Dabei lassen sich sogar in Frankfurt Nahrungsmittel lokal produzieren.

Sophia (40) ist aus ihrem Job ausgestiegen und macht jetzt ein Praktikum auf der Frankfurter Stadtfarm. | Foto: Rolf Oeser
Sophia (40) ist aus ihrem Job ausgestiegen und macht jetzt ein Praktikum auf der Frankfurter Stadtfarm. | Foto: Rolf Oeser

Büro, Lager, Scheune, Feld – die Räumlichkeiten der Kooperative in Oberrad sind schlicht und funktional. Fast muten sie rumpelig an. „Wir wollen ehrliche Landwirtschaft betreiben“, sagt Ökolandwirt Silas Müller. Vor vier Jahren verwirklichte der Mittdreißiger zusammen mit einem Freund im Frankfurter Grüne-Soße-Distrikt seine eigene Vision von Landwirtschaft und Gemeinschaft. Inzwischen hat die Genossenschaft „Im Bärengarten“ über 700 Mitunternehmer:innen, die jede Woche einen Ernteanteil aus Obst und Gemüse bekommen. Sie konsumieren nicht nur, sie haben auch Mitspracherecht: Was bauen wir an? Wollen wir wachsen? Wie erweitern wir unser Netzwerk?

„Landwirtschaft ist nichts Romantisches“, erklärt Geschäftsführerin Carolin Munte. „Wir müssen weg von Hochglanzgemüse und Bauernhofidylle.“ Deshalb kommt hier alles in die Kiste. Auch Rosenkohl, der nicht hübsch aussieht. Zwischen Vogelgezwitscher, Fluglärm, vorbeirauschenden ICEs und mit der EZB in Sichtweite, wachsen auf sechs Hektar Land Auberginen, Tomaten und Salat. Nicht alles, was wöchentlich in die Kisten gepackt wird, ist aus eigenem Anbau. Vieles kommt von derzeit sechs Höfen aus dem Frankfurter Speckgürtel. Feste Abnahmevereinbarungen machen die beteiligten Landwirt:innen unabhängiger von den Preisschwankungen des Marktes, auch das ist ein Teil der solidarischen Philosophie.

Der genossenschaftliche Betrieb wächst schnell. Mehr Anbaufläche wäre gut, auch eine Werkstatt fehlt. Die Frankfurter Grüngürtelverordnung stellt die Kooperative allerdings vor Hürden. „Vieles macht ökologisch keinen Sinn, zum Beispiel dürfen wir keine Hecken und Bäume pflanzen“, sagt Silas Müller. Er erkennt aber einen politischen Willen, vor allem im Umweltdezernat.

Die Frankfurter Stadtregierung hat ausdrücklich bekundet, dass sie den Themen Klimaschutz und Nachhaltigkeit mehr Raum geben will. „Dieser Spirit ist auch spürbar“, findet Joerg Weber, Gründer und Geschäftsführer des Vereins „Bionales“ und Sprecher des Frankfurter Ernährungsrates. Beide Bündnisse setzen sich für den Konsum gesunder Lebensmittel aus regionaler und saisonaler Produktion ein. Eine Finanzierung entsprechender Projekte ermöglicht die „Bürger AG für regionales und nachhaltiges Wirtschaften“.

Gemüsebeete in der Stadt: Hier eine Luftaufnahme eines Gartens der GemüseheldInnen.
Gemüsebeete in der Stadt: Hier eine Luftaufnahme eines Gartens der GemüseheldInnen.

Die Idee, dass Städte versuchen, sich mit ökologischen und regional produzierten Lebensmitteln erschwinglich selbst zu versorgen, geht auf den 2015 vom damaligen Mailänder Bürgermeister Giuliano Pisapia initiierten „Milan Urban Food Policy Act“ zurück. Inzwischen haben sich mehr als 200 Städte auf der ganzen Welt angeschlossen und verstanden: Gemüse wächst auch in der Stadt. Frankfurt ist eine davon. Doch derzeit wird die Euphorie von hoher Inflation und steigenden Energiekosten gebremst. Viele Menschen müssen sparen, und konventionell angebautes Obst und Gemüse ist deutlich billiger als Bio-Lebensmittel aus der Region.

„Beim letzten Treffen des SoLawi-Netzwerkes, also der Solidarischen Landwirtschaft, befürchteten viele, dass die biologische Landwirtschaft um Jahre zurückgeworfen wird“, sagt Juliane Ranck von den „Frankfurter GemüseheldInnen“. Dabei verursacht konventionelle Landwirtschaft viele Kosten, die sich in den Preisen nicht niederschlagen, wie Silas Müller kritisiert: Schweres Gerät, Pestizide und Insektizide, Monokulturen, der Transport der Lebensmittel über große Distanzen, ein oft leichtfertiger Verbrauch von Wasser.

Deshalb sind Initiativen von unten so wichtig, die zeigen, wie es anders gehen könnte. Die „Frankfurter GemüseheldInnen“ zum Beispiel, die Laura Setzer und Juliane Ranck gründeten. Vor drei Jahren besetzten die beiden Mittdreißigerinnen nördlich des Güntherburgparks einen verwilderten Garten und starteten eine bereits in den 1970er Jahren begründete Anbautechnik: Permakultur. „Dabei werden vorhandene Ressourcen möglichst sinnvoll genutzt und die natürlichen Vorgänge des Ökosystems so gut wie möglich nachgeahmt“, erklärt Ranck. Ziel ist eine Landwirtschaft, die sich immer wieder selbst regeneriert, die ohne motorisiertes Gerät auskommt und weniger Wasser verbraucht. Ranck ist sogar überzeugt, dass sich Frankfurt, wenn das Konzept konsequent umgesetzt würde, mit saisonalem Obst und Gemüse selbst versorgen könnte.

Urbane Landwirtschaft lebt bisher größtenteils von freiwilligem Engagement. So wie dem von Sophia und Christian. Sophia ist aus ihrem Job ausgestiegen und macht jetzt ein Praktikum in der Landwirtschaft. Christian, ausgebildeter Krankenpfleger, hat sich beurlauben lassen, um bei naturnaher Arbeit Zukunftspläne zu schmieden: „Ich kann mir vorstellen, auf eine halbe Stelle zu reduzieren und Projekte wie dieses zu unterstützen.“ Braun gebrannt und mit viel Erde unter den Nägeln beackern die beiden 40-Jährigen den Boden der neuen „Frankfurter Stadtfarm“ in Sachsenhausen, einer Kooperation der Gärtnerei Rappelt und der GemüseheldInnen.

Durch das „Wwoof“, ein weltweites Netzwerk von Menschen, die freiwillige Hilfe auf Bio-Höfen anbieten, kommen Menschen von überall her. Denn es geht nicht nur um Gemüseanbau, wie Laura Setzer betont: „Es geht um die Gemeinschaft und um den Ideenreichtum der vielen unterschiedlichen Menschen.“ Zum Netzwerk der GemüseheldInnen gehören heute 19 Gärten im ganzen Stadtgebiet, die von über 300 Freiwilligen bewirtschaftet werden. Die Stadt Frankfurt fördert das Engagement inzwischen finanziell.

Nachhaltige und klimaschonende Landwirtschaft ist möglich, davon sind die vielen Engagierten in den unterschiedlichen Projekten überzeugt. Allerdings müssen sich die Konsumgewohnheiten ändern: „Saisonal und viel weniger Fleisch“ sagt Silas Müller. Für eine „Agrarwende von unten“ brauche es Aufklärung, Projekte an Kindergärten und Schulen, in Stadtteilzentren, solidarische Netzwerke. Und politische Entschlossenheit, das umzusetzen.


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Angela Wolf 117 Artikel

Angela Wolf ist Mitglied in der Redaktion des EFO-Magazins. Sie wurde 1978 in Aschaffenburg geboren. Heute lebt sie in Frankfurt am Main, wo sie Soziologie, Politikwissenschaften und Psychoanalyse studierte.

Malte Stieber 4 Artikel

Malte Stieber ist in der Nähe von Bremen aufgewachsen, lebt seit 2012 in Frankfurt und arbeitet hauptberuflich im Quartiersmanagement in Praunheim.

2 Kommentare

27. September 2022 09:57 Ludwig Boß

Zu dem Artikel einige Anmerkungen Biologisch wirtschaftende Betriebe benutzen die gleichen Arbeitsgeräte wie konvenitonelle Betriebe. Auch für konventionell wirtschaftende Betriebe ist der Boden das höchste Gut. Falls das Urban Farming die Bewirtschaftung mit Spaten,Rechen und Handhacke einführt, ist die Ernährung der Weltbevölkerung nicht gesichert. Mann sollte sich lieber auf die Erforschung neuer Pflanzenschutzmittel konzentrieren. Wenn die Ernte bei der Urbanen Landwirtschaft verdirbt, kann man beim Diskounter das mit Pfanzenschutzmittel belastet Obst u. Gemüse nachkaufen und sich in Lebensgefahr begeben um dem Hungertod zu umgehen. MfG.

27. September 2022 10:40 Niko Raatschen

Der Garten in unseren Köpfen Im Efo-Magazin vom 25.9. wurden drei Frankfurter Garteninitiativen vorgestellt. „Mehr Anbaufläche wäre gut“ hieß es darin. Natürlich gibt es die nicht – sonst wäre es ja keine Stadt. Zu der gewünschten „ehrlichen Landwirtschaft“ gehört nach meiner Einschätzung, dass Selbstversorgung komplett aus dem Stadtgebiet, wie es ist, nicht möglich ist. Wer Gartenflächen in der Nähe der Wohnung möchte, muss sich für Siedlungsformen mit weniger Menschen pro Quadratkilometer einsetzen. Also keine Nachverdichtung in Frankfurt, Verteilung der Wirtschaft und Arbeitsplätze auf die hessischen Kommunen, eben Regionalplanung – dafür muss man Politik machen. Wenn das immer mitgedacht wird, kann der eigentliche Nutzen der Initiativen die Bewusstseinsbildung sein – der Garten in den Köpfen.

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