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Mit Haut und Haaren - Kirchen reagieren mit Beauftragten auf gesellschaftliche Trends

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Gewinnt ein Thema für die Kirchen an Bedeutung oder liegt ihnen der Kontakt zu einer Organisation am Herzen, dann greifen sie zu einem flexiblen Mittel: Sie benennen Beauftragte. Mitunter treibt diese Praxis seltsame Blüten.

Olympia-Pfarrer Karl Zeiss (1917-1994) |
Olympia-Pfarrer Karl Zeiss (1917-1994) | Bild: EKD

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) gehört zweifellos zu jenen Kirchen in Deutschland, die das Ohr eng am Puls der Zeit haben und mit Geld und Personal rasch auf gesellschaftliche Herausforderungen reagieren. Oftmals mit großem Erfolg, denn viele der landeskirchlichen Beauftragten waren charismatische Persönlichkeiten und handelten später auch im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

So wie der Langgönser „Olympia“-Pfarrer Karl Zeiss (1917-1994). Der Fußball- und Motorsportfan war bei fünf olympischen Spielen als Sportbeauftragter tätig. Hunderte hörten den begnadeten Redner auf den ersten Evangelischen Kirchentagen in Hannover und Berlin, Leipzig, Frankfurt und München. Mit seinem Freund Erich Warmers, dem damaligen Männerwerkspfarrer, begann er die Campingseelsorge. Und als Pfarrer der Frankfurter Matthäuskirchengemeinde beteiligte er sich an der Bürgerinitiative zur Rettung des Westends, wo er zusammen mit seiner Frau Dore gegen Wohnraumzerstörung und Bodenspekulation zu Felde zog.

Mehrfach machten die Aktionen des zupackenden und lebenslustigen Sportpfarrers Schlagzeilen. So musste einmal auf seine Intervention hin ein Amüsierlokal im Bahnhofsviertel in seinem Namen „Himmel und Hölle“ das Wort „Himmel“ streichen, was die „Abendpost-Nachtausgabe“ zu der sinnigen Überschrift „Der Sieg des Pfarrers, der 'Himmel' muss weg!“ veranlasste. In die Medien schaffte er es auch wegen seines Kampfes gegen das „Dirnenunwesen“ im Bahnhofsviertel.

Bundesweit bekannt wurde auch der erste Umweltbeauftragte der hessen-nassauischen Kirche und der EKD, Kurt Oeser (1928-2007). Der Pfarrer im südhessischen Mörfelden-Walldorf gehörte zu den Pionieren der Umweltbewegung in Deutschland. 1967 gründete er die „Bundesvereinigung gegen Fluglärm“ und engagierte sich in den 1980er Jahren gegen den Bau der Startbahn-West des Frankfurter Flughafens. Für seine Verdienste erhielt der „Vater des blauen Umweltengels“ unter anderem im Jahr 2000 die Leuschner-Medaille des Landes Hessen.

Eine Vorreiterrolle übernahm die EKHN auch in der Friedensarbeit mit der ersten Beauftragten Cordelia Kopsch (1986-1996), bei der Seelsorge an der Frankfurter Messe mit Pfarrer Michael Frodien (1997-2000) und mit dem Pfarrer in der Frankfurter Commerzbank-Arena, Eugen Eckert. Seit 2007 hat der Fußballfan in der Kapelle mit ihren markanten rot-schwarzen Sitzmöbeln mehr als 100 Täuflinge gesegnet und rund 30 Paare getraut. Seit 2017 ist der 65-Jährige auch als Kontaktpfarrer für die Sportverbände zuständig. Dort arbeitet er dem hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Volker Jung zu, der Sportbeauftragter der EKD ist.

Derzeit hat der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland zwölf Beauftragte für unterschiedliche Aufgaben berufen. Zu den ältesten gehört der Medienbeauftragte. Seine Arbeit reicht fast zwei Generationen zurück. Zudem gibt es unter anderem Beauftragte für Frieden, Umwelt, Kultur, Datenschutz und den Dienst in der Bundespolizei.

Viele Beauftragungen sind eng an die jeweiligen Amtsinhaber geknüpft wie etwa die Schaustellerseelsorge der hessen-nassauischen Kirche. Ohne Pfarrerin Christine Beutler-Lotz, die die Familien der Fahrgeschäftebetreiber und Budenbesitzer schon seit 24 Jahren mit Sachverstand, Feingefühl und ihrem freundlichen rheinhessischen Gebabbel begleitet, gäbe es diese Arbeit sicher nicht mehr. Aber auch ihr Amtskollege aus dem Raum Kassel/Bad Hersfeld, Volker Drewes, hat sich der Arbeit auf Rummelplätzen und Weihnachtsmärkten mit Haut und Haaren verschrieben.

Noch in den 1980er und 1990er Jahren legten die Landeskirchen sehr viel Wert auf die Seelsorge für Landwirts- und Winzerfamilien. In Hessen und Nassau gab es mit Hans-Joachim Roos und Carl-Friedrich Schaback sogar zwei Beauftragte für diesen „Dienst auf dem Lande“, der inzwischen im Zentrum für Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN aufgegangen ist. Roos war ein scharfer Analytiker, der sich auf Podien sauwohl fühlte und so manchen Mitdiskutanten zur Weißglut brachte. Schaback züchtete im Nebenerwerb Ziegen und warb mit deren würzig-säuerlich duftenden Produkten auf Dekanekonferenzen und Kirchentagen für eine neue Ernährungsethik.

Kaum noch eine Rolle spielen in den Landeskirchen die Sekten- und Weltanschauungsbeauftragten, feste Stellen gibt es nur noch in der rheinischen, pfälzischen, bayerischen und hannoverschen Landeskirche. Auf dem Gebiet der EKHN gab es sogar zwei Beauftragte, ein landeskirchlicher und ein Beauftragter des Evangelischen Regionalverbandes Frankfurt. Beide Stellen wurden jedoch Anfang der 2000er Jahre gestrichen - auch wegen des Rückzugs von Scientology und Co.

Historisch sind inzwischen auch die Beauftragungen für Kriegsdienstverweigerung und Zivildienst, für Camper und Zirkusleute, für Aussiedler und Binnenschiffer. So ging etwa der letzte Schifferseelsorger der pfälzischen Kirche, Heino Pönitz, vor zehn Jahren von Bord des Kirchenschiffs „Wichern“, dessen Motor passenderweise kurz zuvor seinen Geist aufgegeben hatte. Das heißt aber nicht, dass die Kirchen jetzt nur noch um ihren eigenen Bauchnabel kreisen würden. Im Gegenteil: Mit ihren Beauftragten für Biker und Trucker, Fluggäste und Feuerwehrleute, Aids-Kranke und Flüchtlinge versuchen sie auch weiterhin, ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nachzukommen.


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