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„Rechtspopulismus ist gefährlich, aber man kann die AfD nicht ausgrenzen“

Rechtspopulismus ist zwar kein neues Phänomen, erfährt jedoch derzeit enormen Aufwind, warnt Gerhard Wegner, der Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Es seien „fatale historische Analogien“ zu erkennen, doch eine bloße Ausgrenzung sei inzwischen unmöglich.

Gerhard Wegner vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD sprach in Frankfurt über die Gründe für den erstarkenden Rechtspopulismus.  |  Foto: Doris Stickler
Gerhard Wegner vom Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD sprach in Frankfurt über die Gründe für den erstarkenden Rechtspopulismus. | Foto: Doris Stickler

Vor allem in den östlichen Bundesländern werde die AfD zum Großteil von jenem „klassischen Kleinbürgertum“ getragen, das 1933 auch Hitler an die Macht verhalf, sagte Wegner bei einem Vortrag im Rahmen der diesjährigen Wintervorträge der Evangelisch-reformierten Gemeinde im Frankfurter Westend. „Es sind Menschen, die es zu einigem Wohlstand brachten und nun Angst haben, dass alles wieder vor die Hunde geht.“

Diese Furcht würden die Rechtspopulisten geschickt für ihre Zwecke nutzen. Vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik hätten sie wieder das Wort „Volk“ als Kampfbegriff in Umlauf gebracht. Damit sei „eine ausgrenzende, zum Nationalismus tendierende Volksidentität herausgekitzelt“ worden. Nach der Devise „Alltagsverstand versus Eliten“ werde gezielt an die weniger privilegierten Schichten appelliert. Aber nicht nur in strukturschwachen Bundesländern, sondern auch in wohlhabenden Regionen wie Baden-Württemberg sei die AfD erfolgreich.

Die Flüchtlingsthematik sei dabei nur ein Faktor. Regelmäßige Umfragen des sozialwissenschaftlichen EKD-Instituts verzeichneten seit 2015 ein konstantes Ergebnis: Ein Drittel der Deutschen heiße Geflüchtete willkommen, ein Drittel stehe ihnen ablehnend gegenüber, ein Drittel sei indifferent. Für einen großen Fehler hält es Wegner, dass sich Kirche und Politik zwar für Flüchtlinge engagiert hätten, aber nicht zugleich auch um die Sorgen und Nöte des „zweiten Drittels“ gekümmert. Diese Leute hätten dann in der AfD eine Heimat gefunden.

Ein weiterer Grund für den wachsenden Rechtspopulismus sei ein Europa, das viele Menschen als weit entfernt von ihren konkreten Belangen erleben. „Brüssel ist zur großen Projektionsscheibe für Rechtspopulisten geworden“ und eine ideale Vorlage für den vermeintlichen Gegensatz „Elite versus Volk“. Dies treibe den Vertrauensverlust in das politische System noch stärker voran und bringe in Ländern wie Deutschland, Frankreich oder Österreich auch traditionelle Linkswähler dazu, rechte Parteien wie AfD, Front Nationale oder FPÖ zu wählen. Nicht zu unterschätzen seien in dieser komplexen Gemengelage auch die digitalen Medien. „Wir nähern uns der Situation, wo jeder seine eigene Wahrheit hat. Donald Trump ist dort schon angekommen und zelebriert seine Singularität“, so Gerhard Wegner.

Wie sich angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen dem Vormarsch der Rechtspopulisten Einhalt gebieten lässt, ist auch dem Marburger Professor für Praktische Theologie ein Rätsel. Alles werde immer „kleinräumiger, unübersichtlicher und komplizierter“. Dass Querelen um eine Große Koalition die SPD in Lager zerreißt, dass eine rechtspopulistische Partei in den Bundestag zieht oder wie in Österreich gar in der Regierung sitzt, habe er sich noch vor kurzem nicht vorstellen können. Er sehe keine Alternative darin, als sich mit der AfD auseinanderzusetzen und zu versuchen, aus ihr eine konservative, aber demokratische Partei zu machen. „Man kann die AfD nicht einfach ausgrenzen.“


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Doris Stickler 76 Artikel

Doris Stickler ist freie Journalistin in Frankfurt.