Politik & Welt

200 Jahre Marx: Wenn man nicht an den großen Bäng glaubt

In diesem Jahr wäre Karl Marx 200 Jahre alt geworden. Was hat uns der Denker mit der wilden Haarpracht heute noch zu sagen? Darüber diskutierten Ulrike Herrmann, Rainer Forst, Gesine Schwan und Sonja Buckel in der Evangelischen Akademie am Römerberg. Von Gesine Bonnet.

Karl Marx, 1875. | Foto: John Jabez Edwin Mayall - International Institute of Social History in Amsterdam.
Karl Marx, 1875. | Foto: John Jabez Edwin Mayall - International Institute of Social History in Amsterdam.

Das Konterfei von Karl Marx, 1818 in Trier geboren, kennt man fast überall auf der Welt, es schmückt Tassen und T-Shirts, vor allem im Jubliläumsjahr verkauft sich so etwas gut. Womit man bereits bei Marx selber ist, seinem Werk, in dem der Mehrwert eine entscheidende Rolle spielt: Aus ihm resultiert die Anhäufung privaten Reichtums auf der einen und die Ausbeutung von Arbeitskraft auf der anderen Seite – eine Logik, die die kapitalistische Wirtschaftsweise nach Marx’ Überzeugung im Innersten ausmacht und schließlich zum Klassenkampf führt. 

Nach dem mit dem Fall der Berliner Mauer ausgerufenen „Ende des Kommunismus“ stellt sich indes die Frage, wie aktuell die Thesen des Ökonomen, Philosophen, Journalisten und politischen Aktivisten heute noch sind. Die Evangelische Akademie Frankfurt hat deshalb gemeinsam mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Museum Karl-Marx-Haus zu einer Diskussionsveranstaltung mit dem Titel „Karl Marx – Auslaufmodell oder Impulsgeber?“ geladen. Im vollbesetzten Akademiesaal am Römer wird dabei schnell eins deutlich: Den einen Marx gibt es nicht, sondern eine Vielzahl von Lesarten. Und man muss kein Marxist sein, um Karl Marx etwas abzugewinnen und ihn heute noch für aktuell zu halten.

Solange es Kapitalismus gibt, bleibt Marx aktuell

Ulrike Herrmann, Wirtschaftskorrespondentin der taz, ist diejenige, die am klarsten Stellung bezieht: „Solange die kapitalistische Gesellschaft noch nicht überwunden ist, ist die marxsche Theorie notwendig und aktuell.“ Der Denker, der im 19 Jahrhundert eine Frühform des Kapitalismus kennenlernte, habe eine geniale Prognosefähigkeit bewiesen: „Der Kapitalismus neigt zur Konzentration durch einen Verdrängungswettbewerb, in dem immer nur die Großen gewinnen.“ Wie richtig das sei, könne man an der ungerechten Vermögensverteilung weltweit und der wachsenden Schere zwischen Arm und Reich ablesen. 

Rainer Forst, Professor am Institut für Politikwissenschaften der Frankfurter Universität, kann dem zustimmen, plädiert aber für eine differenzierte Sichtweise. Der Kapitalismus habe die Arbeiterschaft in den westlichen Gesellschaften auch wohlhabend gemacht. „Aber wenn wir uns die globalen Produktionsverhältnisse und Produktionsketten ansehen, dann ist da viel Ausbeutung im Spiel.“

Stabilisieren Reformen bestehende Ungerechtigkeiten?

Die Politikwissenschaftlerin Gesine Schwan, Präsidentin der Humboldt-Viadrina Governance Platform, Sozialdemokratin und einst Kandidatin für das Bundespräsidentenamt, findet Marx bis heute „sehr anregend“, aber sie stört sich daran, dass er das kapitalistische Gesellschaftssystem als „riesigen Zwangszusammenhang“ ansieht, aus dem es „kein anderes Entkommen gibt als die Revolution“. Auf die will Gesine Schwan lieber nicht ihre Hoffnung setzen und verweist darauf, dass die dass die totalitären Systeme des Ostblocks der Arbeiterklasse keineswegs mehr Freiheit gebracht hätten. Sie versteht sich deswegen als „Reformistin“ und möchte lieber schauen, welche Einflussmöglichkeiten es im bestehenden Wirtschaftssystem gibt, um Verbesserungen zu erreichen. 

Das hieße dann etwa – im Verbund mit den Gewerkschaften – auch im globalen Rahmen „humanere Arbeitsbedingungen einfordern und Lieferketten noch und noch mal überprüfen“. Die alte Frage, ob Reformen den Kapitalismus tatsächlich zügeln können oder ihn nicht eher stabilisieren, hat sie daher für sich entschieden: „Wenn man nicht an den großen Bäng glaubt und das tue ich nicht, dann fängt man an, in diesem Kleinklein zu arbeiten.“

Marx als Impulsgeber für eine kritische Gesellschaftstheorie

Sonja Buckel, Professorin für politische Theorie an der Universität Kassel, verteidigt die „systemische Perspektive“ bei Marx, will das aber nicht als Absage an politische Handlungsmöglichkeiten verstanden wissen: „Marx war nicht nur Ökonom, er war auch politischer Aktivist.“ Gesellschaftlichen Praktiken und Herrschaftsstrukturen stünden in einem dialektischen Verhältnis zueinander, das heißt: „Menschen machen ihre Geschichte selber, aber unter vorgefundenen Bedingungen.“ Deswegen unterstreicht sie: „Wir können die Gesellschaft aus ihren bestehenden Strukturen heraus verändern.“ Dieser analytische Ansatz ist es, der Marx für sie, ebenso wie für Rainer Forst, heute aktuell macht. Beide verstehen sich dabei in der Tradition der kritischen Theorie der Frankfurter Schule, der es um eine breiter angelegte, ideologiekritische Lesart des marxschen Werkes geht.

Marx liefert in diesem Sinne nicht nur ein Instrumentarium, um die kapitalistische Ökonomie im engeren Sinne, sondern gesellschaftliche Verhältnisse insgesamt und die darin eingeschriebenen Machtstrukturen zu analysieren. Der Denker des 19. Jahrhunderts, der wie Buckel unterstreicht, „bestimmt kein Feminist war“ und in seinem Begriff von Arbeit die den Frauen zugeschriebenen reproduktiven Tätigkeiten völlig außen vor ließ, ist dadurch sogar zum Vater der von manchen geschmähten – aber, wie die #MeToo-Debatte zeigt, hochaktuellen – Gender-Theorien geworden.


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Regelmäßig veröffentlichen wir im EFO-Magazin Gastbeiträge von Frankfurter und Offenbacher Pfarrerinnen und Pfarrern oder anderen interessanten Persönlichkeiten.

1 Kommentar

3. April 2018 13:11 Walter Wille

Vier Linke diskutieren über Marx. Was soll dabei anderes herauskommen als: "Eigentlich ist Marxismus großartig, wurde bisher nur nicht richtig umgesetzt". Langweilig bis zum Gehtnichtmehr. Interessant, aber ebenfalls wenig überraschend ist nur, was die Evangelische Akademie mit dieser Einseitigkeit über sich und über die Kirche insgesamt verrät.

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